Felsige Birnen
Gartenpflege liegt mir am Herzen. Ich pflege aus Leidenschaft – auch, weil es immer wieder Erlebnisse mit Kundinnen und Kunden gibt. Einige will ich an dieser Stelle mit der Community teilen.
von Martin Gray erschienen am 12.11.2024Vor einigen Jahren erhielt ich die schöne Aufgabe, eine Streuobstwiese anzulegen – ein kleines, bislang von Schafen beweidetes Stück Grün, das ich mit einer Vielzahl unterschiedlichster Obstgehölze bereichern sollte. Die Bestellung war bereits aufgegeben, und nur eine Woche später standen die Pflanzen auf dem Gelände bereit, in den Boden gesetzt zu werden. Die Vorgaben meiner Kundin waren dabei äußerst präzise, bis ins kleinste Detail wusste sie genau, welche Sorten sie sich wünschte. Anfänglich fand ich das ungewöhnlich, doch ich hinterfragte es nicht weiter, da ich in der Regel die Wünsche meiner Kunden respektiere.
Was mir jedoch etwas merkwürdig erschien, war die Auswahl der Amelanchier lamarckii, besser bekannt als Kupfer-Felsenbirne. Diese Pflanze, die weder Birne noch eine typische Obstpflanze ist, schien auf dieser Streuobstwiese deplatziert. Neugierig fragte ich meine Kundin, ob sie sich der Besonderheit dieser Pflanze bewusst sei. Sie winkte jedoch ab und erklärte mir mit einem Lächeln, dass sie sich intensiv mit den Pflanzen auseinandergesetzt habe und die Felsenbirne aufgrund des felsigen Bodens hier besonders gut gedeihen würde. Sie hatte offenbar ihren eigenen Plan, und da ich ihr Vertrauen nicht erschüttern wollte, beließ ich es dabei und setzte alle Gehölze in die Erde. Ein Dreibock wurde aufgestellt, und ein letzter frischer Anstrich vollendete die Arbeit.
Da ich keine Fertigstellungspflege leisten sollte, hörte ich lange nichts mehr von diesem Auftrag – bis eines Tages der verzweifelte Anruf meiner Kundin kam. Ihre Stimme war von Sorge durchzogen, als sie mir berichtete, dass ihre „Birnen“ unter einem Pilzbefall litten und möglicherweise eingehen würden. Die Nachricht klang ernst, doch ich hatte das Gefühl, dass es sich nicht um das gewohnte Bild von Mehltau handelte, den man oft an Felsenbirnen findet. Ich bat sie, mir die Symptome genauer zu schildern, und sie erzählte mir, dass die Früchte zwar klein, aber vor allem in einem merkwürdigen Blau-Lila leuchteten – und das bei allen Sträuchern. Ein kurzes Lächeln überkam mich. Offenbar hatte die Dame doch nicht so gründlich recherchiert.
Mit einem wohlüberlegten Ton erklärte ich ihr, dass es sich bei der Amelanchier keinesfalls um eine Birne handelte. Ich versicherte ihr, dass die Früchte sicherlich nicht von einem Pilz befallen waren, sondern im Gegenteil durchaus essbar – und in Marmeladenform sogar äußerst köstlich seien. Ein überraschtes Staunen war in ihrer Stimme zu hören, und bald darauf fand sie Gefallen an den Beeren und begann, jedes Jahr großzügig zu ernten.
Was als Missverständnis begann, entwickelte sich zu einer unerwarteten Freude. Meine Kundin begann, die Sträucher jedes Jahr vollständig zu beernten und sich nicht nur an den Beeren zu erfreuen, sondern auch an der Herstellung von Felsenbirnen-Marmelade, die sie mir regelmäßig als Dankeschön zukommen ließ.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.