Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.

VWW-Kommentar zur „FLL-Empfehlungen für Begrünungen mit gebietseigenem Saatgut“

Seit Frühjahr 2014 gibt die FLL ein Regelwerk heraus, das den Anspruch erhebt, für ganz Deutschland Mischungen zu beschreiben, die als Mindeststandard für Begrünungen in der freien Natur für fast alle Standorte geeignet sind.
Der VWW hält diese Mischungen bis auf wenige Ausnahmen für nicht geeignet, einen Mindeststandard für naturnahe Begrünungen zu erfüllen. Die FLL-Mischungen werden über den ihnen zugedachten Zweck hinaus in naturschutzfachlich anspruchsvollen Bereichen eingesetzt, obwohl hier regional abgestimmte, individuelle Mischungen weitaus zielführender sind.

Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
Artikel teilen:

Bisher wurden und werden von der FLL die "RSM RASEN“ herausgegeben. Jahrzehntelang werden darin Zuchtgräsermischungen wie die RSM 7.1-4 (auch) für den Einsatz in der freien Landschaft empfohlen, obwohl die Ausbringung von Zuchtformen gegen das BNatSchG (§40.4) verstößt1. Die neuen Mischungen mit Wildpflanzen sind geeignet, den Einsatz von Zuchtformen zu reduzieren, indem sie die bisherigen RSM ersetzen könnten. Ihr immer häufiger zu beobachten-der Einsatz auf Ausgleichsflächen- und Extensivstandorten bedingt aber einen Verlust an Pflanzenartenvielfalt, der auch zu weiteren Lebensraumverlusten für die Fauna beiträgt und die gesetzliche Funktion dieser Flächen verhindert oder nur in geringem Maße erfüllt.


Wir haben als Verband anfänglich an den Beratungen der FLL zur Erstellung des Regelwerks und der Mischungen teilgenommen und dies wegen mit unseren Statuten unvereinbaren System-mängeln des FLL-Regelwerks wieder aufgegeben. Im Folgenden möchten wir einige wichtige Kritikpunkte (beispielhaft anhand der Region 212) am neuen Regelwerk aufführen:


Fehlende Differenzierung der Mischungen: Mit 72 Mischungen für Deutschland wird scheinbar eine große Vielfalt und damit ein hoher Anpassungsgrad an die Individualität der Landschaften erreicht. Betrachtet man die Mischungen aber im Detail, so sind nur sehr wenige Arten an Differenzierungen der Mischungen beteiligt:
Die Mischung für magere, basische Standorte weist von 37 Arten nur 5 auf, die sie alleine charakterisieren. Soll beispielsweise ein basischer Magerrasen angelegt werden, so sind unter diesen 5 Arten eine Frischwiesenart und 3 Saumarten. Nur die Große Kammschmiele (Koeleria pyramidata) kann als einzige Art regelmäßig genutzter basischer Magerrasen gelten. Betrachtet man die übrige Zusammensetzung, so sind 11 Arten mit denen der Feuchtstandorte identisch und 26 Arten mit denen der Grundmischung (incl. Überschneidungen mit Feuchtstandorten). Eine Standortanpassung wird damit nicht erreicht.
Dies gilt vergleichbar auch für andere Regionen. In der Nr. 11 (Südwestdeutsches Bergland) sind z.B. 8 Arten ausschließlich in der „Feucht“-Mischung vertreten. Davon sind aber Wiesenschwingel (Festuca pratensis), Gewöhnliches Rispengras (Poa trivialis) und Wiesen-Lieschgras (Phleum pratense) keine Arten typischer Feuchtstandorte. Von den verbleibenden 5 Arten sind nur 4 Arten in feuchtem Grünland einsetzbar, darunter keine Gräser, Seggen, Leguminosen, Binsen.


Fehlende Pflegeausrichtung: Die Mischungen sind auf keine Pflegevorgaben ausgerichtet. Die Ansaaten können 3-mal jährlich gemulcht oder nur alle zwei Jahre gemäht werden. Die FLL-Mischungen enthalten daher sowohl mahdtolerante Grünlandarten als auch mahdunverträgliche Saumarten. Nach der Ansaat ist eine größere Zahl der Arten verloren, da sie entweder nur unter Mahd (Mulchen) oder unter (Halb-)brache bestehen können. Die ohnehin wenig charakteristischen Ansaaten werden dadurch noch wesentlich artenärmer und uniformer. Die eingesetzten Kosten sind nicht effektiv genutzt.
Auch die Feuchtstandort-Mischung besteht aus Brache- und Wiesenarten. Die 'Verwandlung' in eine "Hochstauden-Ufersaum"-Gesellschaft durch Zusatz von 2 Arten ist irreführend, da die vorhandenen Brachearten diese Funktion bereits übernehmen können. Zudem ist Rohr-Schwingel (Festuca arundinacea) als eine der beiden Zusatzarten eine Grünlandart (Flutrasen). Die "Ufermischung" unterscheidet sich somit nicht nennenswert von der "Feuchtmischung". Die angegebene Wahlmöglichkeit beschreibt eine Scheinvielfalt.

Fehlendes Mischungskonzept: Die Mischungen sind nur wenig nach den natürlichen Zusammensetzungen von Pflanzengesellschaften orientiert und enthalten kein erkennbares Konzept. So werden innerhalb des gleichen Standorttyps extreme Magerkeitszeiger und Nährstoffzeiger gemischt, z.B. bei Feuchtstandorten Teufelsabbiß (Succisa pratensis) mit Stickstoffzahl 23 und Rote Lichtnelke (Silene dioica) mit Stickstoffzahl 8, was nach der Aussaat zusätzlich zu einem Verlust von Arten führt, je nach¬dem, ob ein Standort nährstoffreich oder –arm ist.

Naturferne Artenauswahl: Die Auswahl der Arten für die Mischungen widerspricht häufig den genannten Standorttypen. Hier einige Beispiele: Unter Mischung „feucht“ ist die dort aufgeführte frisch bis trocken stehende Wilde Möhre (Daucus carota) nicht nachvollziehbar. Warum befindet sich der nässeliebende Sumpf-Hornklee (Lotus pedunculatus) in der Grundmischung (=weder feucht noch trocken) zusammen mit Haar-Schwingel (Festuca filiformis), der aus Extremstandorten trockener Borstgrasrasen stammt und mit 17,5% einen großen Teil der Mischung ausmacht. Warum ist die Weiße Lichtnelke (Silene latifolia ssp. alba) mit hohem Stickstoffanspruch ausgerechnet in den beiden Magermischungen vertreten? Die Rote Lichtnelke (Silene dioica) tritt in der Region 21 nur im Grünland der hohen Berglagen oder in Waldgesellschaften auf, wird aber in der Grundmischung und in der Feuchtmischung vorgeschlagen. Hopfenklee (Medicago lupulina) kommt nur in trocken-basischem Grünland vor, wird hier aber in der Grundmischung eingesetzt. Statt Schmalblättriger Wiesen-Rispe (Poa angustifolia) wird das in Hessen kaum vorkommende Gewöhnliche Wiesen-Rispengras (Poa pratensis) aufgeführt.


Fehlende Arten: Die Auswahl der Arten für die Mischungen zeigt erhebliche Lücken bei typischen Arten. So fehlen z.B. Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvestris), Kleiner Klappertopf (Rhinanthus minor) oder Acker-Witwenblume (Knautia arvensis). Noch gravierender ist die Anwendung des sogenannten Artenfilters nach den Ergebnissen eines DBU-Projektes4. Für Grünland zentrale Arten, wie Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea), Rundblättrige Glockenblume (Campanula rotundifolia), Horst-Rot-Schwingel (Festuca nigrescens) oder Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis) fehlen. Auch besonders charakteristische aber seltenere Arten, wie Knäuel-Glockenblume (Campanula glomerata), Kleines Habichtskraut (Hieracium pilosella) oder Karthäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum) sind im Artenfilter geblockt. Der Artenfilter führt damit zu einer gravierenden Einschränkung für naturnahe Mischungen.


Einsatzbereich: Obwohl der Einsatz der neuen RSM-Regio-Mischungen, z.B. auf erosionsgefährdeten Böschungen, einer standortgerecht zusammengestellten Mischung unterlegen sein muss, empfiehlt das Regelwerk der FLL (S. 19) den Einsatz der neuen Mischungen ausdrücklich „vor allem für Begrünungen mit vorwiegend ingenieurbiologischer Sicherungsfunktion“. Demgegenüber soll für „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ und naturschutzfachlich ähnlich anspruchsvolle Zwecke „Naturraumtreues Saatgut“5 eingesetzt werden. Bliebe es streng bei dieser Anwendung, könnten noch viele Fehler im Naturschutz vermieden werden, aber das FLL-Regelwerk eröffnet folgende Möglichkeit für einen weiten Einsatzbereich (S. 19):

Wenn kein naturraumtreues Saatgut verfügbar ist [..], kann in Abstimmung mit den zuständigen Fachbehörden auf den nächstbenachbarten Naturraum oder auf Regiosaatgut6 des entsprechenden Ursprungsgebietes7 ausgewichen werden.

Diese ausdrückliche Empfehlung der FLL dürfte, sofern keine Mähgutübertragung gewählt wird, in nahezu 100 % aller Fälle zutreffen, da innerhalb eines so kleinräumigen Systems, wie dem der in Deutschland auftretenden 502 (!) naturräumlichen Haupteinheiten natürlich niemand wirtschaftlich Saatgut in nennenswerter Menge anbieten kann. Das führt dazu, dass die RSM-Regio-Regiomischungen nicht nur für den begrenzten Bereich ingenieurbiologischer Mischungen, sondern für nahezu alle Begrünungen in der freien Landschaft eingesetzt werden können.
Wir halten diese Empfehlung gemessen an der geringen Leistungsfähigkeit der Mischungen für naturschutzfachlich schädlich. In dem Moment, wo zuständige Fachbehörden (= Naturschutzbehörden) eingeschaltet werden, können die RSM-Regio-Mischungen durch an die örtlichen Anforderungen angepasste Mischungen ersetzt werden. Hierzu sind bei unseren Mitgliedern eine Vielzahl von Standardmischungen erhältlich; geschulte Berater stellen außerdem standortspezifische Mischungen zusammen.

Die RSM-Regio-Mischungen sollten nach unserer Auffassung grundlegend überarbeitet und für ihre Einsatzgebiete genau definiert werden. Hierzu bieten wir gerne unsere Mitarbeit an.

 

1z.B. in der RSM RASEN 2014 (S.31): „extreme Trockenlagen (Südböschungen, ... Rohböden)...für Rekultivierungsflächen, ... extensiv benutze und/oder gepflegte Flächen“

2Seite 84 des FLL-Regelwerks
3Ellenberg, Heinz (2001): Zeigerwerte der Gefäßpflanzen (ohne Rubus);- Scripta Geobotanica. - 18 (2001), H. (3. Aufl.), S. 9-166

4Prasse, R. et al. (2010): Entwicklung und praktische Umsetzung naturschutzfachlicher Mindestanforderungen an einen Herkunftsnachweis für gebietseigenes Wildpflanzensaatgut krautiger Pflanzen;- Abschlussbericht i.A. der DBU, AZ 23931, Univ. Hannover, Inst. f. Umweltplanung
 5Bezugsraum ist die naturräumliche Haupteinheit nach Meynen und Schmithüsen (1962): Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands;- Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung, Godesberg
 6Die neuen RSM-Regio werden von der FLL als Regiosaatgut bezeichnet
 7Ursprungsregion = Herkünfte (1-22 nach Prasse et al. 2010)

Downloads:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren