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Alternativer Kraftstoff

HVO kann Diesel ersetzen

Durch die undurchsichtigen Geschäftsgebaren von Verkehrsminister Volker Wissing ist der Kraftstoff HVO 100 gerade in aller Munde. Doch der aus organischen Abfällen und Pflanzenölen gewonnene Stoff hat durchaus das Zeug, Dieselmotoren kurzfristig ökologischer machen – zumindest im Hinblick auf die Gewinnung des Kraftstoffs.

von JZ/Red erschienen am 08.01.2025
Aus organischen Fetten raffiniertes HVO kann klassischen Diesel ersetzen. © Zeppelin CAT
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Ein Bericht in der ZDF-Sendung „Frontal“, die auf gemeinsame Recherchen mit der Organisation Lobbycontrol basiert sorgten für viel Rummel: Bundesverkehrsminister Volker Wissing und sein Staatssekretär Oliver Luksic (FDP) wird darin vorgeworfen, ungewöhnlich deutlich Partei für einen wenig seriös erscheinenden Verein namens „Automobilclub Mobil in Deutschland“ ergriffen zu haben. Dieser betreibt gerade eine Kampagne für den Kraftstoff HVO 100. Ganz nebenbei klagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf Herausgabe der Messprotokolle zur Verbrennung des alternativen Kraftstoffs. Im Raum steht der Verdacht, dass er zu erhöhtem Stickstoffausstoss führt.

Trotzdem verspricht der HVO-Dieselkraftstoff erstmal einen schnellen Umstieg großer Maschinen- und Fahrzeugflotten von „fossil“ auf „erneuerbar“. Denn seit diesem Mai ist der freie Verkauf von synthetischem HVO-Dieselkraftstoff an öffentlichen deutschen Tankstellen zulässig. Hierfür hat der Bundesrat im April 2024 grünes Licht gegeben und der Änderung der 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung zugestimmt. Im Vergleich zu fossilem Diesel kann damit eine CO2-Einsparung bis 90?% erreicht werden.

In vielen anderen Ländern kann HVO-Diesel schon seit Jahren getankt werden. Eigentlich ist HVO-Diesel ohnehin nichts Neues, denn die Industrie beliefert auch hierzulande Kommunen und Unternehmen schon lange mit dem erneuerbaren Kraftstoff. Weitere Anbieter kommen hinzu – jüngst erweiterte etwa der Mineralölkonzern Shell sein Angebot für Geschäftskunden im Mobilitätssektor um HVO-Diesel. Damit haben auch deutsche Fahrzeug- und Maschinenbetreiber über öffentliche Tankstellen einen einfachen Zugang zum Öko-Kraftstoff. Das ist laut dem süddeutschen Unternehmen, großer Gesellschafter der Tankstellenkette Avia, ein weiterer wichtiger Meilenstein, der unmittelbar zur CO2-Reduzierung beiträgt.

Grundsätzlich kann HVO aus einer Vielzahl von Rohstoffen hergestellt werden – etwa native Pflanzenöle aus Raps oder Soja, aber auch minderwertige pflanzliche Reststoffe aus der Lebensmittelindustrie, gebrauchte Speiseöle oder tierische Altfette (zum Herstellungsverfahren siehe Kasten). In diesem Fall – und anders als Biodiesel – wirft der Kraftstoff dadurch auch nicht die bekannte und nahezu endlose Tank-oder-Teller-Debatte auf, also die Frage, ob landwirtschaftliche Produkte eher zur Energieerzeugung oder zur Ernährung dienen sollten. Und sein Marktpotenzial ist gewaltig: Beim finnischen Mineralölkonzern Neste schätzt man, dass bis zum Jahr 2040 genügend synthetische Dieselkraftstoffe erzeugt werden können, um den heutigen Energiebedarf des weltweiten Verkehrs zu 40?% zu decken.

Auch das weltweite Interesse der Betreiber von Kraft- und Nutzfahrzeugen an HVO wächst. Das wissen wiederum die Hersteller. Laut Neste haben führende Hersteller schwerer Nutzfahrzeuge wie DAF, Liebherr, Scania, Mercedes-Benz und Volvo bereits reines HVO gemäß DIN EN 15940 zur Verwendung in den Motoren ihrer Lkws freigegeben.

Maschinen- und Fahrzeugflotten

Die Hersteller von Bau- und Landmaschinen gehen in dieselbe Richtung. Beim deutschen Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sieht man darin sogar eine besonders vielversprechende Zukunftslösung. „Pkws, Lkws und mobile Maschinen können mit HVO 100 nahezu CO2-neutral betrieben werden“, meint Dr. Tobias Ehrhard, Geschäftsführer des Branchenverbandes VDMA Landtechnik: „Ein besserer und schnellerer Beitrag zum Klimaschutz ist kaum zu haben!“ Die Hersteller von Baumaschinen gehen ebenfalls nach vorn. Komatsu etwa konzentriert sich längst nicht nur auf Elektro, um von fossilen Kraftstoffen loszukommen, sondern optimiert den Dieselmotor und liefert Bagger sowie Radlader ab Werk mit HVO-Kraftstoff betankt aus. Der Hersteller JCB informiert seine Nutzer von Bau-, Land- und Industriemaschinen darüber, dass jede JCB-Maschine sicher HVO verträgt, sofern der Kraftstoff der Industrienorm EN 15940 entspricht. Durch den Kauf von HVO, das nach dem ISCC-Standard (International Sustainability & Carbon Certification Standard) zertifiziert ist, können Fahrzeug- und Maschinenbetreiber sicherstellen, HVO aus nachhaltigen Rohstoffen zu verwenden.

Auch Besitzer von Diesel-Pkws können HVO tanken, sofern die Hersteller dafür eine Freigabe aussprechen. Die gibt es für viele Diesel-Modelle von Audi, BMW, Mercedes-Benz und anderen Marken wie Kubota. Erkennbar sind sie an der XTL-Plakette im Tankdeckel. Und europaweit gibt es auch schon mehrere Tausend Tankstellen, die HVO-Diesel anbieten. In Deutschland dagegen konnte man den Kraftstoff bisher noch nicht überall tanken, von bundesweit knapp 14.500 öffentlichen Tankstellen führten im Juni lediglich 150 den synthetischen Kraftstoff. Und anfangs war er noch rund 15 Cent pro Liter teurer als Fossildiesel – gewissermaßen ein Ökokraftstoff für Besserverdiener. Aber der Preisunterschied schrumpft. Analysen zufolge wird sich in den nächsten Jahren weltweit die produzierte Menge HVO mindestens vervierfachen. Dementsprechend steigt auch die Anzahl der Tankstellen, die diesen Kraftstoff anbieten können.

Interessant ist die Gegenüberstellung HVO – Elektroantrieb. HVO erscheint besonders für Traktoren sowie Land-, Bau- und Gartenbaumaschinen sinnvoller als schwere Batteriepakete mit begrenzter Laufzeit. Da gerade in diesem Segment die Investitionen in Elektroantrieb extrem hoch wären, ist eher die Umstellung der vorhandenen Technik auf erdölfreie, umweltverträgliche Kraftstoffe anzuraten.

 

Kurz erklärt HVO – Hydriertes Pflanzenöl

Hinter diesem Kürzel verbirgt sich „Hydrotreated Vegetable Oil“, übersetzt „hydriertes“ oder „hydrobehandeltes Pflanzenöl“. Eine andere Bezeichnung ist „HEFA“ (hydroverarbeitete Ester und Fettsäuren). In einem zweistufigen Herstellungsverfahren, der Hydrobehandlung, werden die Ausgangsstoffe bei hohen Temperaturen mit Wasserstoff gesättigt und später chemisch umgewandelt. Das Endprodukt dieses präzise kontrollierbaren Verfahrens ist ein HVO-Dieselkraftstoff mit einer ähnlichen chemischen Zusammensetzung wie fossiler Diesel. Anders als Biodiesel (FAME – Fettsäuremethylester), dessen Herstellung durch Veresterung keine gleichbleibende gewährt, kann er daher – sofern er die Anforderungen der EN 15940 erfüllt – in allen Dieselmotoren bis zu einer Konzentration von 100?% oder in beliebigem Mischungsverhältnis mit fossilem Diesel eingesetzt werden.

Der große Vorteil von HVO gegenüber den anderen Kraftstoffersatzstoffen ist, dass diese auch aus Äbfällen aus Gastronomie, Schlachthöfen, Lebensmittelindustrie oder Holzverarbeitung hergestellt werden können. Dabei entsteht eine geruchlose Flüssigkeit, die viel sauberer verbrennt als Diesel aus Erdöl: 50 % weniger Schwefel, 25 % weniger Kohlenmonoxid, 90 % weniger Kohlendioxid, 30 % weniger Feinstaub). Dementsprechend sinkt auch die Luftverschmutzung mit Kohlendioxid um 90 %.

Die 10 % geringere Dichte und damit verbundene geringere Energiedichte (circa 3 % Mehrverbrauch) werden durch eine um 50 % höhere Cetanzahl, also eine bessere Zündfähigkeit ausgeglichen. Da der Wassergehalt nur ein Viertel vom klassischen Diesel beträgt, ist die Lagerfähigkeit (keine Wasseraufnahme, kein mikrobiologisches Wachstum) und Wintertauglichkeit (bis -32°C) höher einzuschätzen. Auch der Dieselmotor freut sich über den geringeren Wassergehalt. Er läuft ruhiger, störungsfreier und zündet schneller. Es entstehen keine schädlichen Ablagerungen im Verbrennungsraum. Langzeitstudien aus Italien und Schweden, wo dieser Kraftstoff schon länger im Einsatz ist, bestätigen dies.

Weiterer wichtiger Vorteil ist die leichte biologische Abbaubarkeit. Während Diesel aus Erdöl bei Leckagen eine große Gefahr fürs Trinkwasser darstellt, ist HVO bei Weitem nicht so schädigend. Allerdings gibt es auch ein zwei Wermutstropfen. Beim Umstieg von Erdöldiesel auf HVO kann es zur Schrumpfung von Dichtungen an den Fahrzeugen und den Tankanlagen besonders älterer Baujahre kommen. Außerdem ist dieser Kraftstoff um 15 bis 20 Cent teurer als Diesel.

Rein technisch ist der Umstieg ohne jegliche Umrüstung problemlos möglich. Jedoch sollte der Motorenhersteller die Freigabe erteilt haben. Auch das Mischen mit erdölbasiertem Diesel ist kein Hinderungsgrund. jz/em

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