Gallmilben an Gehölzen
Gibt es auffällige Verformungen an Blättern? Dann könnten es Gallmilben sein. Thomas Lohrer hat den gallbildenden Spinnentieren an Gehölzen seinen Juli-Beitrag für DEGA GALABAU gewidmet.
erschienen am 27.05.2025Systematik und Namensgebung
Gallmilben gehören aus taxonomischer Sicht wie alle Milben zu den Spinnentieren, zeichnen sich jedoch durch vielfache Besonderheiten aus. Dies betrifft insbesondere ihre Größe und Lebensweise, geht über zur Symptomatik und endet bei der Zahl ihrer Beine - die bei Spinnentieren im „Normalfall“ acht beträgt. In mehr als 200 Gattungen sind Gallmilben mit bislang über 3.600 Arten beschrieben worden. Schätzungen zufolge entspricht dies nur etwa 10 ?% der tatsächlichen Artenvielfalt. Auch aus Pflanzenschutzsicht dürften in Zukunft noch einige Überraschungen möglich sein.
Die meisten Gallmilbenarten besitzen keinen einheitlichen deutschen Namen und sind nur durch ihre wissenschaftliche Bezeichnung eindeutig identifiziert, wobei auch hier zahlreiche Synonyme erschwerend hinzukommen. In der praktischen Anwendung werden die Gallmilbenarten – oder auch anderer Verursacher von Gallen – als Kompromiss meist nach ihrem charakteristischen Schadbild in Verbindung mit der Wirtspflanze benannt, dem sich dann der Verursacher anschließt. Aufgrund dieser Vereinbarung ergeben sich teils kurios wirkende Namen wie „Zitterpappeldrüsen-Gallmilbe“, „Sommerlindenhorn-Gallmilbe“ oder „Buchenblattfilz-Gallmilbe“.
Aussehen und Nahrungsaufnahme
Der Körperbau der Gallmilben versteht sich als optimale Anpassung an ihre parasitische Lebensweise. Mit ihrer mikroskopischen Größe von nur 0,2 mm gehören sie zu den kleinsten bekannten Arthropoden (Gliederfüßer). Ihr Körper ist walzen- bis wurmförmig gestreckt, äußerlich sekundär geringelt, was ihnen eine gute Beweglichkeit in ihren meist engen Gallen ermöglicht. Die auffälligste morphologische Besonderheit ist die Reduktion der Extremitäten. Im Gegensatz zu den üblichen acht Beinen der Spinnentiere sind bei Gallmilben nur die ersten beiden Beinpaare vollständig ausgebildet, die hinteren Beinpaare fehlen vollständig. Die geringe Körpergröße der Gallmilben hat zu weitreichenden anatomischen Vereinfachungen geführt, viele Organe liegen somit nur in einer stark vereinfachten Form vor oder fehlen ganz.
Der Körperbau und die äußere Form der Gallmilben haben sich über die Evolution hinweg kaum verändert. Fossile Funde, die auf ein Alter von rund 37 Mio. Jahren datiert werden, zeigen nahezu identische Merkmale wie heutige Arten. Gallmilben besitzen als Mundwerkzeuge stilettartige Saugorgane (Cheliceren), die ideal für das Anstechen von Pflanzenzellen gebaut sind. Aufgrund ihrer geringen Größe dringen sie jedoch nur etwa 5 bis 30 µm in das Gewebe ein, bleiben somit auf die äußere Epidermis beschränkt. Der bei der Nahrungsaufnahme mit abgegebene enzymhaltige Speichel enthält Stoffe, die eine zentrale Rolle bei der Ausbildung der artspezifischen, charakteristischen Gallen besitzen.
Lebenszyklus und Biologie
Gallmilben durchlaufen im Vergleich zu anderen Milben einen verkürzten Entwicklungszyklus vom Ei über ein Larven- und ein Nymphenstadium zum adulten Tier; alle Stadien ähneln den erwachsenen Milben dabei in Gestalt und Ernährungsweise. Unter günstigen Bedingungen vergehen oft nur zwei bis drei Wochen, sodass Gallmilben in einer Vegetationsperiode zahlreiche Generationen hervorbringen können. Förderlich für einen raschen Populationsaufbau ist zudem das bei vielen Gallmilben verschobene Geschlechterverhältnis zugunsten der weiblichen Tiere. Viele Gallmilbenarten weisen einen Saisondimorphismus in der Form auf, dass sich die Weibchen der Sommermonate (Protogyne) morphologisch von denen im Winter (Deutogyne) unterscheiden, was bei einer mikroskopischen Bestimmung zu beachten ist.
Die Überwinterung der an Gehölzen auftretenden Gallmilben erfolgt in größerer Stückzahl meist versteckt an ihren Wirtspflanzen unter Knospenschuppen, in Rindenritzen oder teils auch in den von ihnen erzeugten Gallen. Im Frühjahr, sobald die Pflanzen austreiben, verlassen die Tiere ihre Winterquartiere und wandern auf junge Triebe und Blätter. Dort finden sie in den durch ihre Saugtätigkeit induzierten, artspezifisch geformten Gallen Schutz und Nahrung. Milde Winter und eine anschließende hohe Vermehrungsrate fördern eine schnelle Populationszunahme und damit das Auftreten der Gallen.
Verursachte Symptome
Die biochemischen Mechanismen, die zur Gallenbildung führen, beinhalten eine gezielte Manipulation des Pflanzenstoffwechsels. Durch ihre artspezifische Bildung stellt sie darüber hinaus eine hochspezialisierte Form einer Parasit-Wirt-Interaktion dar, die auf zellulärer und genetischer Ebene nur in den ersten Ansätzen bisher verstanden und geklärt wurde.
Zu den von Gallmilben verursachten Symptomen folgt eine Auflistung und nähere Beschreibung, verbunden mit konkreten Beispielen zu Arten, die bei Gehölzen auftreten.
- Filzgallen (Erineum): Durch die Saugaktivität auf der Blattunterseite regen manche Gallmilbenarten das Blatt zu einer verstärkten Bildung von Haaren zu einem dichten, filzigen Rasen an, der auch als Erineum bezeichnet wird. Optisch erinnert er auf den ersten Blick etwas an einen lokalen Mehltaubefall. Innerhalb dieser Fläche unmittelbar auf dem Blatt leben die Milben, gut geschützt vor Witterung und Feinden. Der filzige Rasen kann in Abhängigkeit von Milbenart und Wirtspflanze blattoberseits oder -unterseits auftreten, in der Farbe dominieren weiße und rötliche Töne. Gegenüberliegend zeigen sich nur leichte Blattverfärbungen bis zu leicht erhabenen, verformten Flecken, teils kommt es aber auch zu einer deutlichen Pocken- oder Blasenbildung. – Lindenfilz-Gallmilbe (Eriophyes exilis): Filzgalle bei Tilia cordata, Tilia tomentosa und anderen Lindenarten. Bei Tilia platyphyllos verursacht die Art hingegen filzige Gallen auf der Blattoberseite ausschließlich in den jeweiligen Nervenwinkeln. – Walnussblatt-Gallmilbe (Aceria erineus): gitterartige Filzgalle auf der Blattunterseite, deutliche Beulen auf der Blattoberseite
- Beutelgallen: Viele Gallmilben erzeugen lokale pockenartige Blasen oder sackartige Ausstülpungen an den Blättern, die meist nur wenige Millimeter groß sind und eher rundlich („Knopfgalle“) bis hörnchenartig („Stiftgalle“) geformt sind. Alle diese Gallen sind bei näherer Betrachtung unterseits offen, da es sich nur um lokale Blattaufwölbungen handelt; im Innern der Gallen leben gut geschützt die Verursacher. Die Gallenanzahl pro Blatt schwankt von einigen wenigen bis zu größeren Stückzahlen, die nahezu das gesamte Blatt bedecken können. – Ulmen-Gallmilbe (Aceria ulmicola): kleine, meist grün gefärbte Knopfgalle auf der Blattoberseite, meist in größerer Stückzahl – Sommerlindenhorn-Gallmilbe (Eriophyes tiliae): bis zu 15 mm große, deutlich rot gefärbte, nach oben spitz zulaufende Stiftgalle auf der Blattoberseite, bevorzugt an Tilia platyphyllos– Ahornbeutel-Gallmilbe (Aceria cephalonea): kleine, maximal 2 mm hohe, deutlich rot gefärbte Knopfgalle in meist größerer Zahl auf der Blattoberseite von Acer campestre und Acer pseudoplatanus– Birnenpocken-Gallmilbe (Eriophyes pyri): Die Beutelgalle ist als rötlich-braune, später schwarz gefärbte Blasengalle ausgebildet, in denen die Tiere leben. Bei jeder Galle zeigt sich blattunterseits eine Öffnung, durch die eine Zu- und Abwanderung der Gallmilben möglich ist. Neben den Blättern der Birne können auch die Blätter von Sorbus- und Crataegus-Arten befallen werden; vermutet wird hier eine eigene Unterart.
- Auffällige Faltungen und Kräuselungen der Blätter: Einige Gallmilbenarten verursachen keine Gallen im gewöhnlichen Sinne, sondern beschränken sich auf die Bildung stark gekräuselter Blätter, die ihnen zumindest einen gewissen Schutz bieten. Sie können auch als Übergangsvertreter zu solchen Gallmilben angesehen werden, die gänzlich frei lebend auf den Blättern auftreten. Letztere werden aufgrund ihrer Symptomatik auch als Rostmilben bezeichnet, wie sie für die Tomate oder den Apfel bekannt sind. – Hainbuchenblattfalten-Gallmilbe (Aculops macrotrichus): leistenartige Verdickung der Blattadern blattunterseits, zusätzlich teils stark eingerollt, bevorzugt an Hecken auftretend – Holunderblattkräusel-Gallmilbe (Epitrimerus trilobus): Fiederblätter entlang des Blattrandes längs eingerollt, verbunden mit einer deutlichen Kräuselung, die Blätter bleiben weiter grün gefärbt. – Pappeltrieb-Gallmilbe (Aceria dispar): Ausschließlich an Populus tremula auftretend. Die Blätter sind auf der Länge ganzer Seitenzweige stark gekräuselt, auffällig nach oben eingerollt und meist rötlich oder grün gefärbt.
- Ballonartig angeschwollene Knospen: Einige Gallmilbenarten verursachen durch ihre Saugtätigkeit ein deutliches Anschwellen der Knospen („Rundknospen“), in denen die Tiere in einer vier- bis fünfstelligen Individuenanzahl überwintern. Derartig befallene Knospen treiben im Frühjahr nicht aus und wenn, nur wenig oder nur in Form kleiner, missgebildeter Blätter. Die Milben verlassen im Frühjahr ihr Winterquartier, besiedeln symptomlos die Blätter, um bereits im Juni wieder die für das nächste Jahr angelegten Knospen zu besiedeln. – Haselknospen-Gallmilbe (Phytoptus avellanae): etwa 5 bis 8 mm, deutlich verdickte Knospen, die bevorzugt nach dem Laubfall im Herbst auffällig sind – Johannisbeer-Gallmilbe (Cecidophyopsis ribis): Deutlich angeschwollene Seitenknospen, bevorzugt an Ribes nigrum. Die Gallmilben sind bei der Schwarzen Johannisbeere Überträger des viralen Atavismus (Black currant reversion virus; BRV), die auch als Brennnesselblättrigkeit bekannt ist. – Eschenklunkern-Gallmilbe (Aceria fraxinivora): Erweiterter Sonderfall einer Knospengalle, da sich hier der gesamte Blütenstand der Esche (einschließlich der Blattknospen) zu einzelnen verdickten, verknäulten Strukturen umwandelt. Diese werden als „Klunker“ bezeichnet, sind auffällig braun gefärbt und deutlich holzig. Sie bleiben auch nach dem herbstlichen Laubfall weiter am Baum hängen und sind damit recht auffällig.
Vorbeugung und Bekämpfung
Die durch Gallmilben verursachten Symptome – insbesondere bei einem meist moderaten Auftreten – sind nur als ästhetische Beeinträchtigung einzustufen und nicht pflanzenbedrohlich. Etwas differenzierter ist dies bezüglich ihrer Bedeutung als Vektoren von Emaraviren zu betrachten (siehe Kasten).
Für Verursacher von Filz- und Beutelgallen und auch von Faltungen und Kräuselungen gilt hinsichtlich einer Bekämpfung folgende Faustregel: Bei einem beobachteten, insbesondere stärker gewordenen Vorjahresbefall sollten alle oder zumindest ein größerer Teil der befallenen Blätter bis spätestens Juni entfernt werden. Damit unterbindet man den Tieren die Möglichkeit zur Rückwanderung in ihre Winterquartiere (Knospenschuppen, Rindenritzen). Eine spätere Entfernung der Blätter – beispielsweise gen Herbst – ist nicht erfolgreich, da zu diesem Zeitpunkt bereits alle Tiere abgewandert sind.
Gallmilbenarten, die Rundknospen verursachen, sollten im Laufe des Winters entfernt werden, um eine spätere Besiedlung der Blätter und neu angelegter Knospen zu verhindern. Sollte eine chemische Bekämpfung in Erwägung gezogen werden, ist zu beachten, dass die Gallmilben in ihren geschlossenen Gallen vor dem Benetzen durch Pflanzenschutzmittel geschützt sind. Als Termin eignet sich ausschließlich das zeitige Frühjahr, sobald die Tiere ihre Winterquartiere verlassen und weitgehend ungeschützt in Richtung der jungen Blätter abwandern.
Zur „Ehrenrettung“ der Gallmilben sei erwähnt, dass beispielsweise Aceria chondrillae in den USA oder Australien zur Bekämpfung des dort als Neophyt eingestuften Unkrauts Chondrilla juncea (Großer Knorpellattich) erfolgreich eingesetzt wird. Es gibt aus pflanzenbaulicher Sicht betrachtet somit auch Nützlinge unter den Gallmilben.
Die Virusgattung Emaravirus wurde erst im Jahre 2012 offiziell beschrieben und stellt damit eine der jüngsten Gattungen unter den pflanzenpathogenen Viren dar. Namensgeber für die gesamte Gattung war das „European mountain ash ringspot-associated emaravirus“ (EMARaV), das erstmals in Ebereschen (Sorbus aucuparia = European mountain ash) isoliert werden konnte. Die Übertragung der umhüllten, zudem mehrfach segmentierten RNS-Viren erfolgt durch Gallmilben. Emaraviren, zu denen heute über 35 Virusarten gehören, treten in Europa bevorzugt bei Laubgehölzen auf und konnten unter anderem in Esche, Ahorn und Eiche nachgewiesen werden. Die Symptome variieren je nach Virus und Wirtspflanze, umfassen jedoch häufig Blattmosaike, Chlorosen, Blattdeformationen und Wachstumsstörungen bis hin zu einer mehrjährigen Degeneration und teils auch einem Absterben.
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