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Ode an die Verantwortung

Tjards Wendebourg appelliert, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen.
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Tjards Wendebourg
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Es ist schon absurd: Während man als Landschaftsgärtner, Baumpfleger oder Angestellter einer Kommune mit Baumbestand das Herabfallen eines morschen Astes möglichst schon Jahre vorausahnen soll, dürfen 1 Mio. Menschen durch einen Tunnel auf einen für 250 000 Leute ausgelegten Platz getrieben werden. Auch im Vorschriftendickicht der Normenrepublik Deutschland scheint noch Raum für kreative Interpretation von Anordnungen zu sein; zumindest in Ausnahmefällen und wenn Eitelkeit, Geltungssucht oder Gier Einzelner groß genug sind.

Der Regelfall sieht nämlich anders aus. Danach ist jede Eigenverantwortung durch Regelwerke auf ein Mindestmaß begrenzt. Wer stolpert, klagt. Wem etwas kaputt geht, klagt und wem etwas verloren geht, der bemüht zumindest die Versicherung; wenn er nicht klagt. Die Vorstellung, dass einem irgendetwas zustößt, ohne dass jemand anders dafür verantwortlich gemacht werden kann, ist schon fast exotisch.

Dafür haben einerseits Vorschriften und Regelwerke gesorgt, anderseits aber auch Rechtsanwälte, die von deren Auslegung leben. Letztlich sind wir aber alle schuld, die wir die trügerische Hoffnung auf absolute Sicherheit nicht mehr aufgeben möchten. Mit der Kriegsgeneration verschwindet die letzte große Bevölkerungsgruppe, für die Existenzangst Teil der gemeinsamen Lebenserfahrung war. Für die Nachkriegsgeneration sind Ängste eher zum Volkssport geworden; Motto: je weniger Gefahr, desto mehr Angst.

Der Versuch jedes Risiko zu eliminieren endet in grässlichen Zäunen, genormten Treppen, voreilig gefällten Bäumen und vergatterten Teichen. Er sorgt dafür, dass lieber sicher als schön gebaut wird und im Fall des Falles lieber „nein“ statt „ja“ gesagt wird – aus Angst es könnte etwas schiefgehen. Gerade in Behörden versteckt man sich gerne hinter Vorschriften, weswegen sich der öffentliche oft nicht schön, aber im Zweifelsfall sicher darstellt – besonders für den Sachbearbeiter, der genehmigen musste. Um so absurder, wenn dieser Regelfall ausgerechnet bei einem Mega-Event auf den Kopf gestellt worden zu sein scheint.

Wer jetzt aber vor dem Hintergrund der daraus entstandenen Tragödie sagt: „Siehste, gut, dass wir die ganzen Regeln haben“, dem kann man doch nur antworten: Ja, die Vorschriften sind da, um die ganz großen Gefahren abzuwenden – und sie gehören nicht aus wirtschaftlichen oder politischen Gründe ignoriert. Aber für all die kleinen Gefahren im Leben – da tragen wir selbst die Verantwortung. Gesunder Menschenverstand, gute, neutrale Beratung und ein stabiles Rückrat sind manchmal besser als jede erdenkliche Regel. Das alles schützt sogar vor Katastrophen.

 

(c) DEGA GALABAU/campos online, 10.8.10

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