Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.

Stuttgart 21:00

Wer aus Stuttgart kommt, wie wir, muss bei Auswärtsbesuchen immer erzählen, wie das so ist, als Frontstadt. Aber in Wirklichkeit bekommen wir wahrscheinlich weniger von den Tumulten am Hauptbahnhof mit als Sie alle an den Fernsehschirmen.
Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
Tjards Wendebourg
Tjards Wendebourg
Artikel teilen:
Auch die Auseinandersetzung zwischen Verbandsbetrieben, ob man die Firma Gredler + Söhne wegen ihrer Rodungsarbeiten im Schlosspark aus dem VGL Baden-Württemberg ausschließen sollte, haben wir nur am Computer verfolgt. Dass die Wogen am Hauptbahnhof und in den Medien hochschlagen – dazu braucht man jedenfalls nicht in Stuttgart zu wohnen.

Ich selbst bin kein ausgesprochener Bahnhofsgegner. Ich verfolge nur verwundert, wie es Spitzenpolitiker stilsicher schaffen, auf Nebenschauplätzen ihre Reputation zu verspielen. Wer hat Ministerpräsident Stefan Mappus dazu geraten, gegen die eigene Wählerschaft die harte Linie zu verfolgen? Was reitet die Bundeskanzlerin, wenn sie ihr Schicksal mit einem Bahnhof verknüpft? Sollte sie erkannt haben, dass in Stuttgart an einem lokalen Konflikt die gesamte politische Unzufriedenheit kristallisiert, dann ist es erstaunlich, wie sie reagiert. Die Zusammensetzung der Demonstranten sollten ihr Warnung genug sein; schließlich stehen da ja Montag für Montag nicht die üblicherweise von konservativen Kreisen Verdächtigten, sondern die Konservativen selbst; viele kluge, engagierte Köpfe. Auch der geisterhafte Aufschwung der Grünen ist ein mehr als deutliches Signal an die Regierung, ihre Wähler endlich wieder ernst zu nehmen. Ein erstaunlicher Faktor kommt ja noch dazu: Der Laden läuft, die Wirtschaft brummt – und trotzdem ist es mit der Zustimmung zu der Regierungsarbeit derart bergab gegangen, wie man es so bisher selten erlebt hat.

Verwundern kann es letztlich aber nicht. Selten ist ein Regierungsstart dermaßen verstolpert worden und selten konnten die Menschen mehr das Gefühl haben, dass falsche Prioritäten gesetzt werden. Für Außenstehende muss es völlig absurd erscheinen, wenn Finanzwesen und Großprojekte Milliarden verschlingen, während in den Schulen Lehrermangel und in den Hörsälen der Universitäten Überfüllung herrscht. Abgesehen davon, dass der U-Bahn-Bau in Köln auch immer als sicher galt (und auch permanent teurer geworden ist), darf man sich doch zu Recht die Frage stellen, ob eine Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm mehr Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hat als ein leistungsfähiges Bildungssystem. Immerhin ist es auch eine Art, mit dem zukünftigen Fachkräftemangel umzugehen: Ein einziger Bauleiter kann dann morgens in Stuttgart für die Firma A arbeiten und ist mittags rechtzeitig in Ulm, um bei der Firma B auszuhelfen. Um 21 Uhr ist er dann wieder zu Hause.


Tjards Wendebourg


(c) DEGA GALABAU/campos online, 9.11.10

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren