Der Metropolgärtner
Osama Ahmad ist die Personifizierung der modernen Großstadt. Der Sohn libanesischer Einwanderer ist Landschaftsarchitekt und durch und durch Berliner. Mit seiner Firma grasgrau hat er sich unter anderem auf internationale Arbeitsnomaden spezialisiert, die in den Start-ups der Stadt beschäftigt sind. Deren Wünsche bestimmen sein Programm.
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Osama Ahmad braucht keine repräsentative Geschäftsadresse. Seine Adresse ist im Internet. Auf houzz, instagram, Facebook und auf grasgrau.com ist sein Betrieb zu Hause. Hier trifft er seine Kunden oft, lange bevor sie nach Berlin kommen. Menschen, die Teil der internationalen Start-up-Szene sind und der Arbeit wegen nach Berlin kommen.
Wer Ahmad persönlich treffen will, muss in den alten Westberliner Stadtteil Wilmersdorf fahren, sich die Stufen zum Souterrain hinunterbegeben und einen Mehrzweckraum durchqueren, bevor man in die Schaltzentrale von grasgrau gelangt. Der Besprechungsraum ist zwischendurch Yogastudio, Seminarraum oder Galerie. Das ist GaLaBau in einer Weltmetropole. Denn wo der Gartenraum aus Balkons, Vorgärten, Hinter- oder Innenhöfen besteht, ist nicht raumgreifende Technik gefragt, sondern weltmännisches Auftreten, Sprachkompetenz und flexible Mobilität. So mancher Mitarbeiter hat gar keinen Führerschein und fährt mit der S-Bahn zur Baustelle.
Natürlich ist unsere erste Frage, wie es sich mit dem Vornamen „Osama" in Deutschland lebt, und Ahmad grinst, weil er die Frage kennt und erwartet hat. Das sei ein weitverbreiteter arabischer Vorname antwortet er in feinem, leicht berlinerisch angehauchtem Duktus. Und in seinem Geschäft sei das kaum ein Thema. Denn Ahmads Kunden interessieren sich nicht für Vornamen. Sie interessieren sich für Service. Und den liefert der Berliner.
Von der Landschafts- architektur in den Garten
Eigentlich war Ahmad lange auf ziemlich großen Baustellen zu Hause. Bei Simons & Hinze Landschaftsarchitekten in Berlin war er für Ausführungsplanung und Bauleitung zuständig. Eine gute Schule nach GaLaBau-Lehre und Studium, aber für den 39-Jährigen keine dauerhafte Perspektive. „2008 war der Markt noch nicht so satt, dass das meinen Gehaltsvorstellung entsprochen hätte", sagt der Unternehmer grinsend. Das seien tolle Projekte gewesen, aber, und es fällt der Begriff „AutoCAD-Sklave", die Selbstständigkeit habe mehr Freiheit und mehr Einkommen versprochen. Also tastete Ahmad sich ab 2008 an das eigene Unternehmen heran; absolvierte noch Projekte für seinen ehemaligen Arbeitgeber und machte Bauleitung für den mittlerweile aufgelösten Traditionsbetrieb „Karre & Spaten". Nebenbei betreute er Pflegekunden, die teilweise noch aus der Zeit seiner Ausbildung stammten. 2015 wurde daraus das Unternehmen „grasgrau"; und zwar ganz professionell gestartet mit einer Kommunikationsagentur und einer Webseite. „Ich habe erst in dem Prozess festgestellt: ,grasgrau’ ist eine Marke. Ich bin nicht der Landschaftsarchitekt XY und werde nicht in die Linné’schen Fußstapfen treten, sondern wir haben eine Marke und das lässt sich auch viel besser transportieren", erklärt der Berliner. Damit könne er auch das Namensproblem eliminieren.
Vom BerlinBoom profitieren
Dass die Webseite ganz am Anfang stand und Ahmad mittlerweile etliche Social-Media-Auftritte drumherum gruppiert hat, hat einen ganz konkreten Grund: Sowohl die Akquise von Mitarbeitern als auch von Kunden läuft in erster Linie digital und international. Denn der Unternehmer nutzt ganz bewusst die Anziehung, die die Stadt auf Menschen aus der ganzen Welt ausübt. Die einen kommen wegen der vitalen Start-up-Szene, die anderen, weil sie die Lebensart der Metropole anzieht. Zahlreiche junge Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern kommen in die Stadt, weil es hip ist, weil man ziemlich sicher sein kann, interessante Menschen zu treffen oder Subkultur zu genießen. Berlin hat sich zu einem Magneten entwickelt. Das sorgt nicht nur für internationale Auftraggeber, sondern auch für Leute, die für die Zeit ihres Aufenthalts einen Job suchen – so wie Will aus Südafrika, der bei grasgrau als Planer arbeitet, oder Adrian aus Australien, der sich gerade mit einem „Gartendesigner-Diplom" beworben hat.
Die internationalen Bewerbungen helfen, den anderen Teil der Berlin-Zuwanderer zu bedienen. Denn auch die Auftraggeber kommen mittlerweile aus der ganzen Welt. Angezogen durch Google, Amazon und zahlreiche, von Investoren finanziell oft gut ausgestattete Gründerfirmen, kommen Techniker und Manager der Digitalwirtschaft in die Stadt. Das, was sie brauchen, googeln sie sich zusammen oder bedienen sich dafür der sozialen Netzwerke. „Unsere Kunden sitzen ja nicht irgendwo in Dahlem und blättern in den Gelben Seiten. Sondern die sitzen im Büro in San Francisco und finden dann die Bilder in ,houzz‘", beschreibt Ahmad das Prinzip seiner Kundengewinnung. Wer dann kommt, egal ob aus den USA, aus Australien oder China, braucht eine Ansprache in Englisch und das Verständnis für andere Lebensgewohnheiten. „Die wollen in erster Linie Ruhe haben. Die Frau muss glücklich sein. Die wollen eine klare Absprache", sagt der Unternehmer. Manchmal heißt das auch erst mal, die Leute dort abzuholen, wo sie aufgrund ihrer Sozialisation stehen. Wenn etwa der Engländer am Telefon fragt, was eine Bewässerungsanlage kostet, braucht es erst das Verständnis einer von Witterung und Bepflanzung bestimmten Bedarfsermittlung und einer Planung, bevor man einen Preis ermitteln kann. Das geht nur, wenn man des Englischen mächtig ist, wie Jacky, die Bürokauffrau sowie Fremdsprachenkorrespondentin ist und das Backoffice leitet. Oft sei ein krasser Mentalitätsunterschied zu überbrücken.
Dienstleistung, egal wie klein
Mit diesem in sich schlüssigen Konzept hat Ahmad sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet, das nicht so leicht nachzuahmen ist. Denn dazu gehört die Fähigkeit, Dienstleistungen ungeachtet ihrer Größe anzubieten. Für die Kunden steht meist nicht das Geld im Vordergrund, sondern sie brauchen Hilfe auf dem Neuland: Sie kennen selten ihre Umgebung, das Klima und die Anbieterstruktur und benötigen deshalb vertrauensvolle Unterstützung für einen Balkon, eine Terrasse, eine Kübelbepflanzung, einen Hinterhof und manchmal auch für den Garten einer gekauften oder gemieteten Villa. „Ich kann denen genau das verkaufen, was wir schon seit Jahren machen; eher Objekte verschönern, eher coole Pflanzkübel aufzustellen, die sich selbst versorgen", verrät Ahmad. Manchmal muss einfach nur in einem der sanierten alten Gewerbehöfe, in denen die ganzen Start-ups hocken, ein schicker Fahrradständer eingebaut werden. Für den Berliner kein Problem. Selbst Hilfe für Neukleingärtner hat der Unternehmer im Programm. „Die Leute bekommen einen Schrebergarten und stellen plötzlich fest: O Schreck, wir müssen uns die Hände schmutzig machen‘", meint Ahmad lachend und erzählt, dass der Claim „Schwarze Hände – Wir machen uns für Sie die Finger schmutzig" mal ein Favorit bei der Namensfindung gewesen sei. Schon das sollte die Diskrepanz aufnehmen, die sich zwischen den Sehnsüchten der Großstädter und ihrem Erfahrungshorizont zunehmend auftut. Menschen, die sich darüber wundern, dass der Samen in den Boden gehört, und Akademiker, die fünf Stunden der Auswahl und Pflanzung eines Pfaffenhütchens beiwohnen und emotional tief ergriffen sind, obwohl sie keinen Handschlag getan haben. Für Ahmads Firma ist das Alltag und Geschäftsmodell zugleich.
Das ganze Unternehmen ist auf dem Dienstleistungsgedanken aufgebaut, und das lässt sich Ahmad von Beginn an bezahlen. Schon das erste Beratungsgespräch hat einen Preis. „Wenige fragen, ob sie diese Beratungsstunde später mit dem Auftrag verrechnen können", versichert er. „Wenn sich das lohnt, machen wir das, sonst nicht. Das sind ja meine Arbeits- und Lebenszeit und mein Know-how." Natürlich kostet auch die Planung Geld und selbstredend lässt sich grasgrau die Pflegeleistungen gut bezahlen. „Ich experimentiere gerade", sagt er. Wenn es eh zu viele Anfragen gibt, könne man auch mal Versuche zur Zahlungsbereitschaft anstellen. Ergebnis: Die Firma rechnet für den Berliner Pflegegärtner mittlerweile so viel ab, wie mancher sich im Westen immer noch nicht traut, im Bau in Rechnung zu stellen. Für das Wilmersdorfer Unternehmen ist das aber schon deshalb von Bedeutung, weil der Unterhalt das Rückgrat bildet. „Die Pflege hält den Laden zusammen", sagt Ahmad. „Wir haben über die Jahre die Objekte eingesammelt, weil viele nicht der Lage sind, einen Privatgarten vernünftig zu pflegen."
Schlank bis zum gehtnichtmehr ...
Zum Erfolg trägt auch bei, dass die Struktur von grasgrau extrem schlank ist. „Wir haben alles, was wir an Haben-Kosten rauswerfen konnten, rausgeworfen", sagt der Unternehmer. Ich brauche keinen Radlader oder Minibagger für mein Selbstwertgefühl. Das kann ich alles mieten." Natürlich ist das auch der Pflege als Leistungsschwerpunkt und der Lage in der Innenstadt geschuldet, die Glück und Last zugleich ist. Denn die Wege zum Kunden sind zwar kurz, dafür ist Büroraum teuer und es fehlt an Lagerplatz und Stellfläche. Ahmad kompensiert das mit einem Netzwerk aus befreundeten Betrieben und Dienstleistern. Braucht es Maschinen oder Spezialleistungen, kommen die von einer Verleihfirma oder einem Firmenpartner. Für Grünschnitt wird ein 10-m³-Container gestellt und die Baustoffe oder Pflanzen bringen Zulieferfirmen. Fehlt mal ein Sack Zement, holt ihn der Chef beim Bauhaus-Drive-in und nutzt dafür einen alten Pkw, dem Beulen und Kratzer des Berliner Stadtverkehrs nichts mehr anhaben können. Außerdem gehören die Erhaltung des Bestandes und das Wiederverwenden von alten Materialien zur Philosophie. „Wir können nicht wie ein klassischer Betrieb arbeiten. Letztlich sind wir darauf angewiesen, dass wir Zulieferer haben und zusehen, dass wir flexibel bleiben", erklärt der Unternehmer.
… aber dafür voll digital
Flexibel heißt in diesem Fall auch, möglichst wenig zu besitzen, Dinge zu leihen und Leistungen zuzubuchen. „Das ist das, was ich mit Digitalisierung meine. Es geht ja nicht darum, alles in Bits und Bytes zu verpacken", findet Ahmad. Digitalisierung meine ja nur disruptives Handeln: „Wie kann ich alte Strukturen aufbrechen und wie nutze ich neue Technologien für mich?" Auch Carsharing oder das Mieten von Minibaggern sei eine relativ neue Technologie. Für grasgrau heißt Digitalisierung aber nicht nur, Fahrzeuge oder Baumaschinen über das Smartphone zu ordern. Es ist der ganze Weg, sich zu präsentieren, die Leistung zu erfassen, und beinhaltet auch Produkte. Logo, dass die Stunden per Handy ins Büro kommen. Auf allen Telefonen läuft die App „mite." (www.mite.yo.lk), ein relativ einfaches Zeiterfassungstool, das eigentlich für Freiberufler gedacht ist. „Die Entwickler waren mit mir an der Beuth-Hochschule und ich war damals Tester der Betaversion", erzählt Ahmad. Daraus sei ein Standard geworden. Alle Mitarbeiter haben einen eigenen Account und ordnen die Stunden und Extraleistungen unmittelbar dem Projekt zu. „Für mich hat das einen ungeheuren Vorteil. Ich weiß immer, wie viele Stunden wir verbraucht haben, und wir haben dem Kunden gegenüber Transparenz", freut sich der Berliner. „Ich kann dem Kunden sagen, hier hast du einen Link und kannst sehen, wann was gemacht wurde." Das sei ein relativ einfacher Prozess, der problemlos zu etablieren sei.
Und dann gibt es da noch „grasgrau digital", des Unternehmers Lieblingsgeschäftsfeld. Dort wird alles eingeordnet, was sich digital herstellen lässt, besonders Mähroboter und Bewässerungsanlagen. Für Letztere baut der Unternehmer eigene Steuerungen zusammen, die aus einem Einplatinecomputer und aufgesetzten Relais bestehen. „Der Hauptgrund für mich war, dass ich einfach keine Lust mehr hatte, zum Kunden zu fahren, weil wieder irgendwer diese Taschenrechnerplatine nicht verstanden hat", schmunzelt Ahmad. Und der wesentliche Vorteil sei zudem, dass der Kunde es auf dem Handy hat. „Das wollen sie alle. Weil sie dann auf der Party draufdrücken können", fügt er grinsend an. Da sei noch viel Potenzial für weitere Entwicklungen.
Am Ende zählt die Lebensqualität
„Ich mach das ja nicht, weil ich Millionär werden will. Dazu ist das wahrscheinlich die falsche Branche", resümiert Ahmad. „Ich mache das, weil das meine Leidenschaft ist und mir Spaß macht." Und den sollen auch die Mitarbeiter haben. „Ich will nicht, dass die hier ständig Überstunden schrubben –das ist was ganz Wichtiges", findet Ahmad, der auch selbst für sich in Anspruch nimmt, ausreichend Zeit für die Familie zu haben. Noch ein Grund dafür, sich eher auf die Pflege zu konzentrieren und den Bereich Bau nicht mehr wachsen zu lassen.
grasgrau soll eine Familie sein, in der Platz für Menschen mit schräger Großstadtvita ist und die Ahmad sich so eingerichtet hat, wie sie seiner Philosophie entspricht: metropol, weltoffen, digital und emotional.
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