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GaLaBau im freien Vollzug

Stark wie Löwen – aber ohne Gewalt

Das Seehaus Leonberg ist Teil des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche Baden-Württemberg. Es bietet straffällig gewordenen Jugendlichen die Möglichkeit, sich im freien Vollzug zu bewähren. Wie das funktioniert, hat Volker Simon am Beispiel des GaLaBaus besichtigt.

von Volker Simon, Überlingen erschienen am 11.08.2025
Tobias Winkler (links) erklärt einem der Jungs, wie die Rosen geschnitten werden. © Volker Simon, Überlingen
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Das Tagwerk ist getan – fast. Tobias Winkler sitzt am Steuer des Pritschenwagens. Neben ihm sitzen seine Jungs. Alle sind müde nach einem harten Tag. Jetzt steht die „Hilfreiche Hinweisrunde“ an. So heißt in dem GaLaBau-Betrieb das tägliche Feedbackgespräch, bei dem sich die Auszubildenden gegenseitig beurteilen und vom Ausbilder beurteilt werden. Für die Jungs ist dies die größte Herausforderung an einem Arbeitstag: sich selbst zu reflektieren, andere zu loben und vor allem Kritik auszuhalten.

Das Team um Tobias Winkler im Seehaus Leonberg ist kein gewöhnlicher GaLaBau-Betrieb, sondern ein Ausbildungsbetrieb für junge Gefangene im freien Strafvollzug. Eine Herausforderung für junge Männer, die vor allem eines erfahren haben: Anerkennung durch Stärke, meist auch durch Gewalt gegen andere. Die eigene Stärke zu zeigen, um andere gefügig zu halten. Menschen, die wenig Anerkennung, Empathie, Unterstützung und Zuneigung von der Familie erhalten haben. „Es ist zu Anfang sehr schwierig gewesen, Feedback zu geben und anzunehmen“, erzählt Arian. Der 19-Jährige ist zum Zeitpunkt des Gesprächs seit vier Monaten im Seehaus und bereits ein Löwe. Das ist im Stufenprogramm des Seehauses die höchste von fünf Stufen und gesteht in dem sehr straffen Tagesprogramm etwas persönliche Freiheiten zu.

Arian spricht sehr offen und reflektiert über die Herausforderungen an ihn und die anderen Jungs im Seehaus. Er hat sie angenommen. Er saß bereits zwei Monate in der Jugendvollzugsanstalt (JVA) Adelsheim und wurde auf das Seehaus aufmerksam. Er erkannte sehr schnell, dass die Haftzeit in der JVA ihn trotz aller Bemühungen nur auf eines bestens vorbereitet: ein Leben mit Drogen, Gewalt und krimineller Energie. „Ich hatte da keinen Bock darauf“, entschied er, beantragte eine Verlegung ins Seehaus. Ihm wurde eine positive Prognose beschieden. Seitdem beginnt sein Tag um 5.45 Uhr mit Frühsport, Impulsen, Frühstück in der Wohngruppe mit den Hauseltern, Küchen- und Putzdiensten und endet lang nach der „Hilfreichen Hinweisrunde“, gemeinsamem Abendessen, Gesprächen mit Sozialarbeitern um 22 Uhr mit der Nachtruhe. Das Tagesprogramm ist straff, persönliche Disziplin und soziales Miteinander werden täglich bewertet und Fehlverhalten sanktioniert. Der Alltag in der JVA war deutlich lockerer, aber langweiliger.

„Wenn man es will, dann schafft man es auch.“ Arian (19), Auszubildender im freien Strafvollzug

Das Konzept verlangt von den Jungs viel ab – auch von Arian. Er sagt aber: „Wenn man es will, dann schafft man es auch.“ Er wusste, dass er „mehr geben muss als andere“. Arian wollte schnellstmöglich Löwe werden, etwas mehr Freiheiten genießen. Das Mehr an persönlicher Freiheit geht in dem Konzept auch mit einem Mehr an Verantwortung für andere einher. Eine Einstellung, die ihm und den meisten der Jungs bis dato völlig fremd war.

Tobias Winkler kennt das straffe Programm aus eigener Erfahrung. Nach seiner Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau arbeitete er mit 20 Jahren als FSJler im Seehaus, erarbeitete sich bei den Jungs Respekt mit seinem Engagement, seinem festen Glauben und seiner zupackenden Weise. Der junge Galabauer lernte seine zukünftige Ehefrau im Seehaus lieben, blieb, machte den Meister und baute den GaLaBau-Betrieb auf. Als erstes baute er die Arena am Seehaus, einen Ort zum Sprechen, Sport treiben und manchmal auch zum Feiern, wie bei der Hochzeit der beiden 2012.

Die Fläche rund um die Gebäude wurde für die Schaffenskraft des jungen Meisters zu klein, er arbeitete bald mit seinen Jungs als Subunternehmer. Nach und nach konnten eigene Fahrzeuge, Geräte und Maschinen angeschafft werden. Die Aufträge kamen durch Förderer und Mitglieder des Seehauses, bald schon durch Empfehlungen. Die gute Arbeit spricht sich herum, größere und komplexere Aufträge werden ausgeführt, für Kommunen werden regelmäßig Aufträge erledigt. Bei Ausschreibungen gibt das Seehaus mit marktgerechten Preisen ein, bei privaten Auftraggebern tritt das Seehaus nicht in Konkurrenz zu örtlichen Handwerkern.

Die Kunden wissen, welche Mitarbeiter der 34-Jährige mit auf die Baustelle bringt. Es dürfen nur die mit, die mindestens Leo sind. Meist sind es zu wenige, um immer alle Aufträge zeitnah zu erledigen, weshalb er Mitarbeitende sucht. Für ihn und sein Jungs gilt „draußen“ die Anforderung, bessere Arbeit und Umgangsformen abzuliefern, als erwartet wird. „Es ist jeden Tag eine Herausforderung und für mich immer noch ein großartiges Gefühl, wenn das Vertrauen in die Jungs bestätigt wird“, erzählt Tobias Winkler. Zudem ist die hilfreiche Hinweisrunde nach einem langen Arbeitstag sehr viel kürzer.

Freier Strafvollzug mit straffem Programm

Das Seehaus setzt auf Berufsausbildung bei jungen Straffälligen. Seehaus e.V. ist in den Bereichen Opferhilfe, Straffälligenhilfe und Prävention tätig. Im Seehaus Leonberg und im Seehaus Leipzig betreibt Seehaus e.V. Strafvollzug in freier Form als Alternative zum geschlossenen und offenen Strafvollzug. Dabei leben jeweils bis zu sieben junge Männer mit Hauseltern zusammen und erleben so oft zum ersten Mal Familienleben. Gleichzeitig sind sie in ein strukturiertes Erziehungsprogramm von 5.45 bis 22 Uhr eingebunden. Der Verein folgt in seinen unterschiedlichen Arbeitsbereichen den Prinzipien von Restorative Justice. Dabei handelt es sich um einen Ansatz für Konflikttransformation, der die Bedürfnisse der Geschädigten und Wiedergutmachung in den Mittelpunkt stellt und die Verantwortungsübernahme der Täter betont. Das Seehaus Leonberg versteht sich als Lebensschule und gibt jungen Gefangenen die Chance, eine umfassende Lebensveränderung vorzunehmen. Sie können innerhalb einer positiven Gruppenkultur und durch familienähnliches Zusammenleben positives Sozialverhalten eintrainieren und erlernen. Straftaten, Gewalt- und Suchterfahrungen und andere Probleme werden im Seehaus aufgearbeitet. Die jungen Gefangenen können in einem internen Stufensystem aufsteigen und erhalten mehr Freiheiten. Eine Integration in Sportvereine wird angestrebt. Es bestehen sehr gute Vermittlungschancen ins Handwerk und in die Industrie. Nach ihrer Entlassung können die jungen Männer verschiedene Nachsorgeangebote in Anspruch nehmen. Während des Aufenthaltes werden sie im schulischen Bereich, in der beruflichen Bildung und im Freizeitbereich gefördert. Im schulischen Bereich liegt der Schwerpunkt auf der beruflichen Bildung. In der einjährigen Berufsfachschule im Seehaus können die jungen Gefangenen eine Ausbildung in den Bereichen Bau, Holz, Metall beginnen. Mit der einjährigen Berufsfachschule kann ein dem erweiterten Hauptschulabschluss gleichwertiger Bildungsstand erreicht werden. Schreiner können auch im zweiten und dritten Lehrjahr ausgebildet werden. Eine Tischlerei, eine Zimmerei und eine Motorradwerkstatt ergänzen das Ausbildungsangebot. Zur Aufnahme sind verschiedene Positivkriterien notwendig. Neben der Zustimmung der Anstaltsleitung der JVA und der Staatsanwaltschaft ist eine zu verbüßende Reststrafe von mindestens einem Jahr bis zur voraussichtlichen Entlassung notwendig. Das Angebot adressiert vor allem Jugendliche und junge Erwachsene von 16 bis 23 Jahren, die wegen Gewalt- und Körperverletzungsdelikten verurteilt wurden. Die Vollzugserfahrung ist kein Negativkriterium, da das Konzept auf einer positiven Gruppenkultur basiert und die Strukturen der negativen Subkultur nutzt. Daher sind junge Gefangene mit „Führungsqualitäten“ sehr wichtig. Die Teilnahme am freien Strafvollzug im Seehaus setzt ausreichende Deutschkenntnisse voraus. Seehaus e.V. finanziert sich über Zuschüsse sowie Geld- und Sachspenden. Neben hauptamtlichen Mitarbeitern bringen sich FSJler, BFDler, Praktikanten und viele Ehrenamtliche ein. Gegenwärtig werden auch Hauseltern, GaLaBau-Fachkräfte und ein Motorradschrauber gesucht.

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