Nicht die Bäume machen Dreck
Es gibt Mitbürger, die sich von Blättern verfolgt fühlen. Unser Redakteur Tjards Wendebourg hat ihnen einen Eintrag für das Poesie-Album geschrieben.
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Es gehört zu unserer an Absurditäten nicht gerade armen Zeit, dass Menschen zwar keine Probleme damit haben, wenn sich in Autobahnabfahrten, an Flussufern und auf Parkrasenflächen weggeworfener Verpackungsmüll auftürmt, wenn der Straßenbaum aber im Herbst Blätter oder Früchte abwirft, dann erschallt der Ruf nach der Motorsäge. Denn ordentlich und sauber soll es sein, aber keinen Aufwand verursachen. Der Drang nach grenzenloser Freiheit bei maximaler Bequemlichkeit hat Formen angenommen, die kaum noch zu ertragen sind. Jeder will tun und lassen können, was ihm oder ihr Spaß macht, und sich dabei so wenig wie möglich für den oder die andere interessieren müssen. Wenn der Staat dazu auffordert, zum Schutz Anderer während einer Pandemie Masken zu tragen, finden sich genug Bekloppte, die maskenlos dagegen protestieren, während anderenorts die wirklichen Probleme protestlos hingenommen werden. Wie gesagt: Es ist eine Zeit, in der eine Absurdität die andere jagt, die Grenze des Unfassbaren sich immer weiter Richtung Horizont verschiebt, weil das gestern Unglaubliche durch das heute noch Unglaublichere getoppt wird. Dass jeder pathologische Fall durch das Internet ein Forum bekommt, ist daran nicht ganz unschuldig – um es vorsichtig zu formulieren.
Aber zurück zum Baum. Auch er und andere seiner Art werden zunehmend zum Opfer absurder Weltbetrachtung. Eine Pflanze hat heute zu funktionieren, sie hat dazustehen und die moderne Lebensumwelt zu dekorieren. Aber sie hat kein Recht auf Dynamik, sie hat uns gefälligst nicht das Licht wegzunehmen - und Dreck zu machen, dazu hat sie erst recht kein Recht. Wenn die Welt schon gedanklich unaufgeräumt und unsicher geworden ist, dann soll wenigstens das persönliche Umfeld ordentlich und aufgeräumt sein. Deswegen schütten sich Menschen Steine vor ihre Haustüren und verbannen alles Lebendige, Dynamische, weil es die Ordnung stört und Zeit stielt, die für die Freizeitgestaltung gebraucht wird.
Es wird Zeit aufzuräumen! Aber nicht mit den Blättern, sondern mit dem Unrat in den Köpfen derer, die die Zeichen des Lebens nicht mehr von achtlos weggeworfenem Verpackungsmüll unterscheiden können. Obwohl die Natur für uns überlebenswichtig ist, haben wir sie auf Randbereiche zurückgedrängt. Und selbst diese gezähmten Randbereiche, die in den Städten und Dörfern etwa als Pflanzinseln oder Straßenbäume daherkommen, sind von Zwängen geplagten Mitbürgerinnen und Mitbürgern noch ein Dorn im Auge. Es wird Zeit, diesen Leuten Grenzen aufzuzeigen, und ihnen vor Augen zu führen, dass nicht ihre zwanghafte Ordnungsliebe das Maß der Dinge ist, sondern unser aller Bedarf nach Schatten, Sauerstoff und Stadtnatur. Wer Bäume gefällt oder kastriert haben will, weil es das Ego so verlangt, gehört in seine Schranken gewiesen (und zuvor mindestens gründlich informiert, siehe Checkliste)!
Nein, Bäume machen keinen Dreck! Es gehört in unseren Breitengraden zu ihrem Wesen und zu unserer Umgebung, dass sie den Wechsel der Jahreszeiten anzeigen und den Kreislauf der Dinge durch ihren Laubfall dokumentieren. Wer damit ein Problem hat, soll bitte einen Schritt zurücktreten und seine Energie für die wirklich wichtigen Dinge aufwenden. Es gibt genug Müll in der Welt, der sich zu vermeiden und aufzuräumen lohnt: physischer, wie psychischer. Da sind Blätter oder Früchte das aller kleinste unserer kleineren Probleme!