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KOMMENTAR | TJARDS WENDEBOURG

Die Bürokratie sind wir selbst

Bürokratieabbau ist ein Wort, das beliebter kaum sein könnte. Jeder will weniger Bürokratie: die Bürgerinnen und Bürger, die Politik, die Unternehmen – vielleicht sogar die Verwaltung. Der Begriff eignet sich deshalb perfekt als Projektionsfläche: Da alle ihm zustimmen, die Definition ausreichend abstrakt ist und man immer jemanden findet, dem man ihn zuwerfen kann, tut er nicht weh. Nur, wenn man ins Detail schaut, wird’s kompliziert, meint Tjards Wendebourg.

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Bürokratie ist nämlich ein sich selbst fütterndes System, das aus Millionen von Rädchen besteht. Weil es in einer komplexen Volkswirtschaft und in einem immer dichter besiedelten Land immer mehr zu regeln gibt und gleichzeitig niemand mehr Risiken eingehen möchte oder ungerecht behandelt werden will, wird es immer schwieriger, Regeln aufzustellen, die nicht gleichzeitig den Prozess drangsalieren. In zahlreichen Gremien tüfteln spezialisierte Menschen Regelungen aus, die den betreffenden Bereich besser machen sollen. Das reicht vom Regelwerks-Ausschuss bis zur Ethik-Kommission. Jeder will für seinen Bereich und seine Zielgruppe – so klein auch immer sie sein mag – nur das Beste. Gleichzeitig mischen zahllose hauptamtliche Interessenvertretungen bei jeder Regelung mit und versuchen, für ihr Klientel das Optimum herauszuholen. Was in Summe dabei herauskommt, ist ein Netzwerk aus Begrenzungsfaktoren, die sich – ob der vielen beteiligten Köche – zum Teil munter widersprechen oder gar absurden Charakter annehmen. Je länger sich Menschen mit einem Prozess beschäftigen, desto mehr bemühen sie sich, zu optimieren und, desto eher entfernen sie sich auch von der Frage, wie viel Regelungsqualität eigentlich notwendig und zuträglich ist.

Gleichzeitig müssen alle Regelungen justiziabel sein – und zwar nicht nur vor dem Verfassungsgericht. Sie müssen so beschaffen sein, dass sie niemanden benachteiligen und allen übergeordneten Regelungen gerecht werden. Dass „die Politik“ daran regelmäßig scheitert, zeigt die Tatsache, wie oft Gesetze – als eine der höchsten Formen von Regelungen – durch Gerichte kassiert und neu gestaltet werden müssen. Angesichts der zunehmenden Komplexität, die nicht nur Laien oder Generalisten zunehmend überfordert, ist das kein Wunder. Regierungen – in Bund oder Ländern - machen dabei Ordnungspolitik. Sie schaffen einen Rahmen, der grob alle vorstellbaren Fälle umfassen soll. Je weiter man im föderalen System herabsteigt, desto konkreter sollte es werden. Und desto eher sollten die örtliche Politik und Verwaltung auch den Gestaltungsspielraum nutzen, den ihnen die Gesetzgeber zubilligen; inklusive des Rückgriffs auf eigenverantwortliche Entscheidungen, die dafür sorgen, Rahmenvereinbarungen der örtlichen Situation anzupassen.

Machen wir es an einem einfachen Beispiel fest: Die Politik hat recht damit, das Überqueren der Straße bei Rot zu verbieten. Aber, wenn ich um zwei Uhr nachts auf einer leeren Straße an einer roten Ampel stehe, muss ich die Gesetzgebung situationsbedingt interpretieren.

Eines ist jedenfalls Fakt: Wenn wir so weitermachen, verstricken wir uns in einem System, das jegliche Eigendynamik und jeglichen Gestaltungsspielraum – auch im Wortsinn und in Bezug auf den öffentlichen Raum – unterdrückt. Denn sobald Eigendynamik riskant wird und in Vorbereitung einen großen Teil der Zeit frisst, wird niemand mehr Lust haben, eigendynamisch und eigeninitiativ zu handeln; eine Entwicklung, die wir schon lange beobachten können. Das wiederum eignet sich nicht als Slogan, mit dem man im Bierzelt punkten sollte  – auch wenn es so schön einfach erscheint. Es ist vielmehr ein Fakt, der uns alle angeht; als Teil einer Gesellschaft, die jedes Lebensrisiko an jemand anders und im Zweifel an den Staat abtreten möchte.

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