Ausbildung: Wie nehmen Sie die Situation wahr?
Wie ist die Anzahl und Qualität der Bewerbungen?
Wie versuchen Sie junge Menschen für den Beruf und Ihr Unternehmen zu interessieren?
Welche zusätzlichen Angebote machen Sie?
Wie gehen Sie im Unternehmen auf die veränderten Anforderungen der nächsten Generation ein?
Wie sieht es in Ihrer Region generell aus?
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Industriebetriebe stauben gute Azubis ab
Wir erhalten kaum Bewerbungen, konnten aber unseren Ausbildungsplatz wieder besetzen. Unsere Gemeinde mit ca. 4400 Einwohnern ist Standort einer Oberschule. Wir nehmen regelmäßig an Berufsinformationstagen der Oberschule teil und stellen dort unseren Beruf vor. Die Schule bietet für ihre Schüler in Klasse 8 und 9 Berufspraktika an, und wir haben regelmäßig Praktikanten aus der Schule bei uns im Betrieb, so bleiben wir bei den Schülern als Ausbildungsbetrieb im Gespräch. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Industriebetriebe allein durch ihren Namen in der Region viele gute Auszubildende abstauben. Ich versuche den interessierten Schülern die Vorteile unseres Berufs gegenüber der Industrie deutlich zu machen, wie zum Beispiel keine Schichtarbeit. Leider lassen sich viele an unserem Beruf interessierte Schüler durch die Verdienstmöglichkeiten bei den Industriebetrieben nicht vollends von der grünen Branche überzeugen, und die meisten guten Schüler landen bei den Industriebetrieben.
So bleibt die Realität, dass wir wenige Bewerbungen bekommen, bei denen aber meistens eine dabei ist, die zu uns passt.
Nils-Hendrik Baum führt eine Firma für Gartengestaltung in Hattorf.
Thema der Zukunft
Für 2023 haben wir die drei Ausbildungsplätze seit April vergeben. Die Qualität der Bewerber ist allgemein hoch. Dieses Jahr ist sie aber nochmal höher als in den Vorjahren. Viele interessieren sich für unsere Arbeit, obwohl sie bereits einen anderen Beruf erlernt haben. Dieses Jahr sind die Hintergründe unserer Azubis: Eine Umschulung von einer 2022 begonnenen Floristen-Ausbildung, ein abgeschlossenes Studium der Biologie, eine Umschulung aufgrund von Long-Covid.
Wir sind auf den regionalen Ausbildungsmessen vertreten, sind in (Online-)Magazinen und mit staudenmix.de auf Instagram. Hier wird auf die Ausbildung hingewiesen! Entscheidend ist, dass wir den Interessenten ein Praktikum zu der Zeit einräumen, wenn die Entscheidung ansteht. Immer im April und Mai. Das liegt zwar mitten in der Hochsaison und ist nicht optimal – ist aber ein Muss, wenn wir bei der Lehrstellenüberlegung der Interessenten bedacht werden wollen!
Ein gutes Betriebsklima, eine klar gegliederte Ausbildung, zusätzlicher betrieblicher Unterricht zu definierten Themen, offene Kommunikation, „Chef-Runden“ mit den Azubis, betriebliche Ausflüge, zum Teil auch gestellte Kleidung mit Logo der Firma, die gemeinsame Azubifahrt des BdS, und vieles mehr. Es gibt nicht eine zentrale Maßnahme, sondern ein ganzes Bündel, dass unsere Azubis überzeugt.
Für alle Saisonbetriebe sind die sich verändernden Ansprüche der Bewerber eine Herausforderung. Wenn eine 6-Tagewoche in der Saison auf die Schlagzeile 4-Tageswoche bei vollem Lohnausgleich trifft – das geht sich schlicht nicht aus. Hier müssen beide Seiten einen Kompromiss finden, wo der allerdings in fünf bis zehn Jahren liegen wird – ich bin selbst gespannt!
Da der Fach- und Arbeitskräftemangel im Süden in allen Berufsgruppen angekommen ist, treten wir in Wettbewerb mit anderen Branchen, welche zum Teil mit deutlich besseren Gesamtpaketen aufwarten können. Wir profitieren davon, dass wir ein gutes, starkes Team haben und klare Perspektiven aufweisen können. Unser Beruf hat eines der Themen der Zukunft belegt. Ohne Grün geht es nicht, das weiß auch die nachrückende Generation.
Gleichzeitig müssen wir für die kommenden Jahre unsere Ausbildung weiter attraktiv halten, um auch in Zukunft Gärtner auszubilden. Aber das ist ein Thema, für das eine Blitzumfrage nicht ausreicht.
Christoph Hokema ist Geschäftsführer von Fehrle Stauden in Schwäbisch Gmünd.
Quereinsteiger erwünscht
Ich habe einem Quereinsteiger aus der Automobilbranche zum Probearbeiten zugesagt. Wir werben nicht aktiv um neue Mitarbeiter. Der Markt wird in nächster Zeit sicher in Bewegung kommen. Die neuen Anforderungen sehe ich relativ gelassen, da der gesamte Markt davon betroffen sein wird und somit auch die Risiken, die damit für Betriebe verbunden sind, überall dieselben sein werden. Selbst der angebliche Mehrgewinn durch eine Vier-Tage-Woche wird sich über kurz oder lang abschleifen. Wenn dann alle etwas glücklicher sein werden, sollte ich es auch sein. Heute ist die gute alte Zeit von morgen!
Olaf Pressel leitet die Firma Die Pressler in Stuttgart.
Konkurrenz ist groß
Wir bekommen immer schon sehr wenige Bewerbungen, die Qualität sinkt dabei aber spürbar. Die Anzahl der Quereinsteiger steigt dabei markant. Bei den Quereinsteigern kann man fast ausschließlich von Frauen über 35 sprechen, welche nach Pilatesausbildung, Yogakurs und kurzer Selbstständigkeit nun endlich ihrer Berufung zur Gärtnerin nachkommen möchten. Wir haben gerade eine Enddreißigerin mit fertigem Studium und eigenem Modelabel bei uns eingestellt. Sie ist voll glücklich und macht jetzt genau das, was sie immer schon machen wollte. Um Menschen auf unseren Beruf und unser Unternehmen aufmerksam zu machen, haben wir ein Video produziert und über Social-Media verbreitet. Es hat bis jetzt über 20.000 Views. Fünf Quereinsteiger haben sich beworben. Auf Berufsmessen waren wir bis jetzt noch nicht, aber vielleicht machen wir das noch. Grundsätzlich sei gesagt, die meisten Mitarbeiter rekrutieren wir über unsere Mitarbeiter.
Vor 3 Jahren haben wir wieder mit eigener Vermehrung angefangen, für mich der schönste Platz in der Gärtnerei, und ich denke, dass alle kommenden Gärtner dies genau so sehen werden. Außerdem haben wir nach 20 Jahren wieder begonnen, Gärten zu bauen, da hier das Interesse noch größer ist. Ob es was bewirkt, können wir noch nicht sagen, denn offiziell starten wir erst ab Juli. Auf jeden Fall arbeiten hier nur junge Leute und bringen hoffentlich auch die gewünschten jungen Mitarbeiter, welche wir nicht nur im Galabau ausbilden wollen, zumindest hoffen wir das.
In den nächsten Jahren werden meine Töchter im Betrieb einsteigen und hoffentlich eine jugendlichere Ansprache finden, um Mitarbeiter zu akquirieren. Außerdem möchten wir Wohnraum für Mitarbeiter schaffen, und setzen zunehmend auf Automatisierung in der Produktion, um die Arbeit leichter, aber auch interessanter zu gestalten.
Grundsätzlich ist die Konkurrenz in der Branche gewaltig, da vier der renommiertesten Gartenbaubetriebe im direkten Umfeld von fünf Kilometer ansässig sind. In unserer Region herrscht seit Jahren nahezu Vollbeschäftigung, aber Wien ist 15 Minuten mit der Bahn entfernt, dies kann auch eine große Möglichkeit für den Arbeitsmarkt sein. Zurzeit bewegen sich die Arbeitskräfte eher in die gegengesetzte Richtung.
Xandl Schmidhammer ist Chef bei Hameter in Baumgarten.
Azubis als Familie
Es ist zurzeit etwas ruhig um den Bewerbermarkt bei uns geworden, liegt aber auch daran, dass gerade alle Ausbildungsplätze bei uns belegt sind, und wir daher nicht explizit Werbung für einen Ausbildungsplatz machen. Hin und wieder erhalten wir aber dennoch Anfragen, wo die meisten entweder den Ausbildungsbetrieb wechseln wollen oder aus einem anderen handwerklichen Bereich sich gerne neu orientieren möchten.
Ich frage mich persönlich schon, wie weit man sich als Unternehmen noch aus dem Fenster lehnen muss, um für einen so abwechslungsreichen und großartigen Ausbildungsberuf Werbung zu machen. Geschenke wie Tablets, Azubimobil für die Berufsschule oder ein Club Urlaub auf den Malediven? Es sind nur kurze Momente, die beim Bewerber eine Dopaminausschüttung bereiten und die nicht lange anhalten.
Ich finde, da sollte im Vordergrund des Gemeinsame passen. Wir sehen unsere Auszubildenden als Familienmitglieder, wobei sich alle wohlfühlen sollen und sich darauf freuen, auch am nächsten Tag im Team gemeinsam Berge zu versetzen. Da wir uns in einem finanzstarken Ballungsraum befinden, ist die Unternehmensdichte hier sehr hoch, und da unser Standort eher im ländlichen Raum zu finden ist, sind die Verkehrsanbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln eher bescheiden. Ich denke da haben andere Betriebe, die im städtischen Bereich sich befinden noch bessere Chancen.
Stand jetzt kann noch keine genaue Aussage zu den Abschlussprüfungen getroffen werden. So im alltäglichen Baustellenbetrieb sind die Azubis fit und setzen Gelerntes schnell um. Aber die Prüfungssituation ist immer noch etwas Besonderes.
Alexander Tilburgs ist Chef eines Betriebs in Schmitten im Taunus.
Ausgewogenes Geben und Nehmen
Wir haben bereits vier Bewerbungen erhalten, zwei männliche und zwei weibliche. Es sind vermehrt Gymnasiasten, die mit dem Realschulabschluss die Schule beenden oder BOS/FOS-Abgänger. Unsere Wahl ist auf eine 17-jährige Bewerberin gefallen. Geschätzt haben etwa 10% unserer Azubi-Bewerber eine abgebrochene Berufsausbildung.
Wir wecken das Interesse durch Angebote an Praktikumsplätzen, die besonders durch Schulen vermittelt und wahrgenommen werden und über Werbung verschiedener Ausbildungsplattformen, als Dauerannoncen. Sonst haben wir bis dato keine Zusatzangebote, sofern das Stellen von Berufskleidung oder Arbeitsgeräte übers Wochenende nicht dazugehören – Das ist bei uns üblich.
Auszubildende und Ausbildende haben ihre Rechte und Pflichten, wir achten auf ein möglichst ausgewogenes Geben und Nehmen. Unsere Hofer Region hat tendenziell schwindende Einwohnerzahlen und fallende Zahlen an Schulabgängern, aber wachsende Konkurrenz aus anderen Ausbildungsbereichen. Die Durchfallquote empfinden wir als hoch. Etwa ein bis zwei von sechs Azubis. Die Schulnoten liegen oft in einem guten Durchschnitt, während die Prüfungsergebnisse im Verhältnis dazu schlechter ausfallen, also knapp bis gar nicht bestanden
Stefan Pfeuffer, deeg GaLaBau in Hof
Über 60 Jahre aktiv in der Ausbildung
Im September 2023 starten vier neue Azubis. Eine Frau und drei Männer, zwei mit Qualifiziertem Hauptschulabschluss, ein Realschulabschluss und ein Azubi mit Abitur. Aber alle ohne Berufserfahrung. Die Azubis haben vorher bei uns ein Betriebspraktikum absolviert, einige sogar mehrere.
Wir sind immer bei den Berufsmessen in unserer Region vertreten, gehen auch viel in die Schulen, dieses Jahr Berufsinformationstag in der Realschule Bad Tölz, in Social-Media sind wir sehr aktiv, aber nicht gezielt für Mitarbeiter-Werbung, eher zeigen wir, wie es ist bei uns zu arbeiten. Wir sind seit über 60 Jahren in der Ausbildung aktiv und haben mehr als 100 Azubis ausgebildet. Dieses Jahr gibt es einen Azubiaustausch mit der Firma Beran Gärten, zwei Azubis von uns dürfen zwei Wochen dort mitarbeiten und nehmen dann zwei Azubis von Beran für zwei Wochen mit zu uns. Wir sind im ländlichen Alpenraum und haben Gott sei Dank tolle Bewerbungen von motivierten Menschen, die wie wir Gärten bauen und pflegen wollen. Aktuell laufen die ersten Bewerbungen für 2024. Wir nehmen nicht nur die besten Schüler, sondern eine gemischte Truppe, wir begleiten alle auf ihrem individuellen Weg, fast alle schaffen die Prüfung aufs erste Mal, vereinzelt gibt es einen zweiten Versuch. Wir bilden nicht nur Landschaftsgärtner, sondern auch Werker aus. Wenn wir sehen, dass dort ein Wechsel in der Ausbildung sinnvoll ist, ermöglichen wir das gerne.
Balbina Fuchs, ist Geschäftsführerin bei Fuchs baut Gärten in Lengries
Fachkräfte selbst heranziehen
Wir haben dieses Jahr eine deutliche Steigerung der Bewerbungen festgestellt, wir hatten teilweise zwei bis drei Bewerbungen pro Tag die letzten Monate, und hier waren die Frauen erfreulicherweise sehr stark vertreten. Etwa 60 % davon waren Bewerbungen für ein duales Studium. Prinzipiell war die Schulbildung überdurchschnittlich hoch, überwiegend Abiturienten, die unisono ihr Interesse am Arbeiten in und an der Natur formuliert haben und sich aktiv am Kampf gegen den Klimawandel und Artenschwund beteiligen möchten. Bei den vielen Gesprächen, die wir geführt haben, hat uns der Garten-Enthusiasmus des Nachwuchses immer wieder begeistert, auch wenn die Kraftanstrengung im GaLaBau sehr oft unterschätzt wurde. Mittels Schnupperpraktika konnten wir aber ganz gut die Spreu vom Weizen trennen. Das Gros der Bewerber hat klar formuliert, dass sie von ihrem Ausbildungsbetrieb ein modernes Management erwarten, interessante Projekte, eine abwechslungsreiche, gute Ausbildung und Work-Live-Balance. Bei uns hat besonders unser Branchenimage, unser ansprechender Webauftritt, Social-Media-Aktivitäten sowie die Einfachheit des digitalen Bewerbungsprozederes die Auszubildenden angesprochen. Hier tut sich das Handwerk ja nach wie vor etwas schwer, so dass man mit zeitgemäßem Auftreten und Arbeiten sehr gut punkten kann.
Wir haben uns jetzt aus dem Feld der Bewerber drei Kandidaten ausgewählt: zwei Auszubildende und einen dualen Studenten. Ganz besonders freut mich, dass die Auswahl vielfältig ist: eine Frau ist dabei, Quereinsteigerin und insgesamt alle Varianten von Schul- und Ausbildung. Das ist derzeit unsere Strategie angesichts des Fachkräftemangels: Wir ziehen uns die Fachkräfte selbst heran.
Andrea Jeremias von „Das Reservat“ in Berlin
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