Muss man naturnahe Anlagen überhaupt winterfest machen?
Wenn es um naturnahe Anlagen geht, die auch der Biodiversiätsförderung dienen sollen, wird das Thema Pflege ja oft kontrovers diskutiert. Von „nix tun, lass die Natur mal machen“ bis „das mähen wir jetzt alles runter, damit es endlich ordentlich aussieht“ gibt es da oft viele Missverständnisse. Muss also ein naturnah gestalteter Garten überhaupt „winterfest“ gemacht werden? Die simple Antwort wäre: nein, muss er nicht.
von Birgit Helbig erschienen am 06.11.2024Vorausgesetzt, es wurden nur heimische Arten gepflanzt, die aus der jeweiligen Klimaregion kommen und somit an die vorherrschenden Verhältnisse angepasst sind, gibt es keinen zwingenden Grund, im Herbst einzugreifen. Die Pflanzen (auch Wildrosen oder naturnahe, wurzelechte Auslesen) müssen weder angehäufelt noch mit Schattierungen versehen werden, um sie vor Frostschäden zu schützen. Trotzdem macht es Sinn, einen herbstlichen Pflegetermin einzuplanen. Da wir uns in einem Kulturraum bewegen, in dem die Anlagen auch im Winterhalbjahr eine gewisse Ästhetik bewahren sollen, sind durchaus Pflegemaßnahmen möglich und teilweise aus arbeitstechnischer Sicht auch sinnvoll. So kann man einige der Pflegemaßnahmen und Rückschnitte, die im Frühjahr nötig wären, durchaus zum Teil schon im Herbst abarbeiten.
Dabei sollen aber nur Teilbereiche der jeweiligen Strukturen (Säume, Staudenfluren, Teichvegetation …) zurückgenommen werden, um im nicht bearbeiteten Rest die Entwicklung und Überwinterung der darin lebenden Fauna nicht zu (zer-)stören. Als Grundsatz kann also gelten: So viel wie unbedingt nötig, so wenig wie möglich – aber nie alles auf einmal. Ausnahme: Kranke, weiche und faulige Pflanzenteile werden abgeräumt.
Wiesen schonend mähen
Das gilt auch für überständige Wiesen, die noch einmal relativ hoch (wenn möglich mindestens 5?cm Höhe) gemäht werden. So werden einerseits die schnittempfindlichen Rosetten der blühenden Kräuter geschont, aber auch Insekten, Spinnen und Kerbtiere, die als Eier, Larven, Raupen, Puppen oder ausgewachsene Tiere an der Basis der Pflanzen unter den Blättern überwintern. Dabei sind Messerbalken (Balkenmäher, Heckenschere …) rotierenden Messern (Motorsense …) unbedingt vorzuziehen, da hier die Überlebensrate der Lebewesen um bis zu 70?% höher ist. Aktuell werden auf dem Markt zunehmend auch handliche Modelle (teils mit Akku) für kleinere Flächen im Hausgartenbereich angeboten (zum Beispiel Ego, Stihl). Lineare Strukturen oder Inseln mit verholzenden Stängeln, die ausgespart und erst im späten Frühjahr gemäht werden, bieten zusätzliche „Überlebensinseln“. Schüttere und sehr magere Wiesenflächen können auch erst im ausgehenden März mit einer Harke „ausgestriegelt“ und so von abgestorbenen Pflanzenteilen befreit werden.
Säume und Staudenpflanzungen
Allgemein sollten verholzende Strukturen in Säumen oder Staudenbeeten erst im Frühjahr zurückgeschnitten werden. Bei umfangreicheren Saumstrukturen dürfen auch einmal Teilbereiche nur alle zwei Jahre zurückgenommen werden, sofern sie noch standfest sind.
Diese werden gerne als Überwinterungshabitate, zum Beispiel von Schmetterlingen genutzt: Der Aurorafalter überwintert als Puppe und schlüpft als einer der ersten Schmetterlinge im Frühjahr, der Zitronenfalter heftet sich als Schmetterling frei an die Pflanze und lässt sich einfach „einfrieren“. Marienkäfer und einige Wanzen wiederum überwintern gemeinsam zwischen dürren Blättern.
Hohle oder markhaltige Pflanzenstängel dienen vielen Insektenarten, wie manchen Heuschrecken oder zahlreichen Wildbienenarten, als Nistplätze, in denen sie ihre Eier ablegen. Stehen gelassene, stabile Gräser und Samenstände sind im Winter nicht nur dekorative Strukturbildner, die Samenkörner bieten auch willkommene Nahrung für Vögel und Kleinsäuger. Im Frühjahr sind mürbe Pflanzenteile wie Bast, Blätter oder Gräserrispen auch als Nistmaterial für verschiedene Tiere willkommen.
2Gewässer mit Netzen schützen
In Gewässern fördern stehende, oft hohle Stängel den Luftaustausch bei Eisbildung. Sich zersetzendes Pflanzenmaterial (Seerosenblätter …) wird mit Rechen oder Kescher entnommen, da der daraus entstehende Mulm die in der Pflanze gebundenen Nährstoffe unter der Bildung von Gasen wieder freisetzen und damit den Teich aufdüngen würde.
Außerdem wird durch die Sedimentation der Pflanzenreste die Verlandung gefördert. Teichpflege ist im noch warmen Wasser im Herbst deutlich angenehmer als im kälteren zeitigen Frühjahr. Außerdem sind Molche und andere Teichbewohner bei wärmeren Temperaturen noch mobil und können flüchten. Dennoch sollte man nach Möglichkeit das abgefischte Material auf eventuell mitgefangene Lebewesen kontrollieren.
Naturnahe Gartenteiche ohne ausreichende Skimmertechnik an Gehölzrändern oder Baumbeständen sollten in der Zeit des Laubfalls mit engmaschigen Netzen gegen Laubeintrag geschützt werden. Dabei darauf achten, dass sie auch mit einer Laublast nicht ins Wasser hängen („Teebeuteleffekt“). Idealerweise ist das Netz luftig, zeltartig angebracht, wodurch das seitliche Abrutschen und Verwehen des Laubes ermöglicht wird. Beim Installieren des Laubschutzes auch an Fluchtmöglichkeiten aus dem Netzaufbau für zum Beispiel späte Libellen denken. Idealerweise wurden geeignete Anbringungsmöglichkeiten schon direkt beim Bau des Teiches berücksichtigt.

Gehölzschnitt und Herbstlaub vor Ort verwenden
Anfallendes Laub wird in naturnahen Anlagen nur von Wiesenflächen oder Magerstandorten mit dem Rechen oder Laubbläser (keine Saug-/Häckselfunktion verwenden) entfernt. Unter Gehölzen und in nährstoffreichen Staudenbeeten wird es belassen. Zusammengetragene Laubhaufen dienen als Überwinterungsquartiere für Igel oder auch Amphibien. Dazu kann man im Kern des Haufens ein paar gröbere Äste oder Strauchschnitt platzieren – so entstehen Hohlräume, die gerne angenommen werden. Mit Ästen abgedeckt und beschwert, wird ein Verwehen verhindert. Solche Haufen kann man gut in Ecken oder unter Gehölzen platzieren. Im Folgejahr wird ein größerer Teil verrotten und kann als Zugabe zum Kompost genutzt werden – oder der Haufen wird als bestehende Struktur im Garten belassen, die immer wieder neu „befüllt“ wird.
Vorsicht bei liegenden Laub- oder Gräserhaufen: Es könnte sich schon ein ruhender Igel oder eine Erdkröte darunter befinden. Daher Vorsicht mit scharfen oder spitzen Werkzeugen. Das gilt auch beim Umsetzen von Laub- oder Kompostmieten. Der Gehölzschnitt (Ausnahme Schnitthecken) hat das Ziel, die Pflanzen wesensgerecht zu entwickeln. Kappungen oder „Hausmeisterschnitte“ sind dabei unbedingt zu vermeiden, um die Vitalität und Ästhetik der Pflanzen dauerhaft zu erhalten. Davon ausgenommen ist das „Auf-den-Stock-Setzen“ der Wildgehölze zur Verjüngung. Bei Hecken möglichst auch hier immer nur abschnittsweise oder alternierend arbeiten (zum Beispiel jeweils ein Drittel des Bestandes über drei Jahre verteilt). So kann die Hecke ihre ökologische Funktion (Bereitstellen von Blüten, Früchten, Lebensraum) durchgängig erfüllen.
Anfallender Astschnitt und verholzende Stängel (auch aus der Frühjahrspflege) können zu Heckenwällen aufgeschichtet werden, die sich gut als Strukturelemente integrieren lassen. Auch hier entstehen Habitat-Strukturen für verschiedenste Tierarten, von Käfern bis zu Heckenbrütern.
Pflege beeinflusst die Ästhetik
Bei der Herbstpflege macht es Sinn, Flächen in denen viele Frühblüher gesetzt sind, etwas „ordentlicher“ zu pflegen. So können sich Galanthus, Primula und Co. im zeitigen Frühling gut in Szene setzen.
An prominenten Stellen (vor allem im öffentlichen Raum) kann auch eine „Akzeptanzpflege“ sinnvoll sein. Hierbei werden „unansehnliche“ Bereiche konventionell zurückgeschnitten. Um zum Beispiel bei höheren Säumen dennoch wenigstens noch einen Teil der Biodiversitätsleistung zu erhalten, kann das Schnittgut in Garben auf der Fläche aufgestellt werden. Solche „Trockensträuße“ werden in der Regel gut akzeptiert und können im ausgehenden Frühjahr leicht abgeräumt werden.
Wo immer möglich, das Schnittgut nicht unmittelbar häckseln, da dabei alle unbemerkt in den Pflanzenteilen lagernden Insekten vernichtet werden (gilt in besonderem Maß auch für integrierte Laubhäcksler).
Winterfest sind alle Heimischen von Natur aus
Auch naturnahe Flächen benötigen fachkundige Pflege, um dauerhaft sowohl ästhetisch zu sein, aber auch ihre Funktion als ökologische Trittstein-Biotope erfüllen zu können. „Winterfest“ sind alle heimischen Pflanzungen von Natur aus.
In der naturnahen Pflege ist ein wenig Flexibilität bezüglich der optimalen Pflegezeitpunkte, das Einplanen gestaffelter Pflege und die regelmäßige Kontrolle der jeweiligen Flächen von Vorteil (zum Beispiel, um auch einmal einen zusätzlichen Mahd-/Rückschnitttermin einzuschieben, wie es im zurückliegenden extrem „wüchsigen“ Jahr vielerorts nötig war). Dafür belohnen uns diese Anlagen aber neben ihrer natürlichen Schönheit mit einer großen faunistischen Artenvielfalt.
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