Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.

Paritätsprobleme

von Stefan Leszko erschienen am 11.03.2025
Artikel teilen:
© Stefan Leszko

Lassen Sie uns über Ratten sprechen. Alles, was in Gärten vorkommt, betrifft früher oder später auch uns, und die Ratte – oder, wie wir Franken sagen: die Radde – ist gegenwärtig zumindest hier bei uns deutlich auf dem Vormarsch. Erst gestern war ich gerade mit der Pflege eines Kunden-Gartenteichs beschäftigt, als direkt neben mir eine große Radde ins Wasser sprang und davonschwamm. Meldet man solches dem jeweiligen Auftraggeber, herrschen Abscheu und Entsetzen im Mienenspiel. „Um Goddes Willen – eine Radde!“

Meist wird dann spontan nach Gift gerufen. Es gehört zu seinen wesentlichen Charakterzügen, dass das selbsternannte Ebenbild Gottes alles, was ihm missfällt, tunlichst umbringen und ausrotten will, missliebige Artgenossen eingeschlossen. Das garantiert rührigen Wirtschaftszweigen wie Schädlingsbekämpfung und Rüstungsindustrie nie versiegende Einnahmen, denn so wird garantiert nie ein Problem gelöst. Dazu bräuchte man Ursachenanalysen, die keiner mag, denn denken ist schwerer als schießen. Analyse heißt hier: Wer ist die Ratte und wie lebt sie? Woher kommt sie und vor allem: warum?

Um das herauszufinden, begann ich eine zoologische Recherche, die mich unerwartet in eine Identitätskrise führen sollte. Also: Die Ratte – präziser gesagt: die Wanderratte (Rattus norvegicus) – stammt, anders als ihr Artname vermuten ließe, aus den Steppengebieten der Mongolei, wo sie, weit abseits von menschlichen Siedlungen, ein unauffälliges und scheues Dasein fristete. Vor einigen hundert Jahren erst schloss sie sich dem Menschen an, verbreitete sich in seinem Gefolge über den ganzen Planeten und eroberte sämtliche Lebensräume, wobei sie verschiedentlich für andere Arten zur existenziellen Gefahr wurde. Sie ist allesgefräßig, äußerst anpassungsfähig, vermehrt sich exponentiell und kann, im Familienkreis oder als Haustier, sehr anhänglich und liebenswert sein. Mit einem Wort: als Individuum vielseitig, als Art invasiv und eine Plage.

Und hier verlor ich langsam die Orientierung. All das gilt genauso auch für eine andere Art, die Biologen nicht von ungefähr „die Ratte unter den Primaten“ nennen. Aber wo ist dann noch der Unterschied? Wer ist Jekyll und wer ist Hyde? Gibt es überhaupt noch eine Grenze zwischen Rodentiziden und Rheinmetall? Aus diesem Dilemma rettete mich schließlich ein älterer Kunde. „Mir höm ke Broplem mit Radden“, sagte er gütig. „Unser Kader mecht se alle dot.“ Das war die Rettung. Das brachte die Dinge wieder ins rechte Lot. Denn, so groß die Ähnlichkeiten auch sein mögen: Der Mensch muss wenigstens nur vor seinesgleichen Angst haben.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren