Neue Ideen für`s Niemandsland? Ja! Nur wer macht die Kärrner-Arbeit?
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Wohnen ist ein wertvolles Gut und dazu noch existenziell, also kein austauschbares Luxusprodukt und eigentlich nicht dem Zeitgeist unterworfen. Eigentlich?
In den Siebziger Jahren befand sich der Städtebau (zu viel seelenlose „Urbanität“) und die Immobilienwirtschaft (hohe Leerstände und mangelnde Akzeptanz seelenlosen Wohnungsbaus) in der Krise. Als Rezept wurde „mehr Demokratie wagen“ ausgegeben.
Für die veränderbarsten Räume des Wohnens – die großen „Niemandsländer“ oder
auch Sozialbrachen oder auch Abstandsgrünflächen – bedeutete dies:
Hier sind die Voraussetzungen für ein Umdenken gegeben: mehr Demokratie durch Teilhabe und mehr Identifikation und damit mehr Bindung durch Aneignung. Die 80er Jahre beim kommunalen Wohnungsunternehmen von Hannover „Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover mbH“ (kurz GBH) wurden durch eine Vielzahl von Initiativen, grüner Sozialarbeit und der gesteuerten Neuanlage von Mietergärten geprägt. Noch dazu wurden bei GBH in dieser Zeit parallel über 100 Spielplätze erneuert – z.B. auch unter dem Motto „Wasser und Spiel“.
Dieser Zeitgeist wurde in der Neubauphase der 90er Jahre durch die Ausstattung jeder EG-Wohnung mit einem Garten und kleinerer Mietergartenareale fortgesetzt. Die GBH verwaltet heute 13.000 Wohnungen. Ungefähr ein Zehntel der 13.000 Mietparteien verfügt mittlerweile über eine kleine Gartenparzelle. Es kann stolz auf Errungenschaften verwiesen werden.
Wir befinden uns im Jahr 2010. Der Zeitgeist ist ein virtueller, die Vereinzelung überlagert gemeinschaftliches Handeln. Die GBH bietet beispielsweise einem Teil ihrer Mieterschaft per Medienprogramm die freie Wahl weltweit verfügbarer Programme - von Indonesien bis Alaska.
Es stellt sich die Fragen: wie erhält man geschaffene Qualität, die zeitlos ist. Wie erhält man die Oberhoheit der Erdverbundenheit über die virtuelle Welt? Was bewegt diese vielleicht 1300 Mieter, ihren Garten mit Herz und Seele gegen jede Unbill zu schützen, ihn zu hegen und zu pflegen? Menschen, die bei Sonne und Regen draußen sind und die Nachbarschaft pflegen und nicht bei zugezogenen Jalousien Medien konsumieren (siehe Bild 1).
Und umgekehrt woran liegt es, dass trotz aller Anstrengungen Mieter, die einen Garten „mitgemietet“ haben, ihn weniger zu schätzen wissen? Sie nutzen ihn wenig gärtnerisch, sondern überwiegend „nur“ zum Abstellen von Gegenständen. Oder zum reinen Aufenthalt. Sicherlich - sie brauchen ihren Garten.
Hier mag eine gesellschaftspolitische Herausforderung gegeben sein. Aus Sicht der Zielsetzung eines Wohnungsunternehmens, das Wohnumfeld fortlaufend zu verbessern, kann ein ungepflegter Garten allerdings zum „Störfaktor“ werden. Wie gehe ich um mit egoistischen Lösungsansätzen des „vereinzelten“ Mieters, der sein privates Glück durch billige Holzflechtzäune aus dem Baumarkt schützt? Welche Schlüsse sind letztlich für die Vermietung zu ziehen? Geht man restriktiv oder konstruktiv damit um (siehe Bild 2)?
Und somit sind wir im Alltag, sprich: der Realität angekommen und entsprechend hier beginnt die „Kärrnerarbeit“ eines Wohnungsunternehmens.
Die GBH als Vermieter hat sehr wohl ein Interesse an Nachhaltigkeit und Zeitlosigkeit. Die Erhaltung grüner Qualitäten unterliegt aber kritischer Wegbegleitung – es gibt tatsächlich Stimmen, die sagen, „gartenloses“ schönes Grün würde das „Verwaltungsleben“ doch erheblich vereinfachen. Andersherum besteht die fachliche Herausforderung genau darin, komplexen Zusammenhängen zu begegnen. Und ein komplexer Zusammenhang besteht in der Fragestellung, wie kann ich unterprivilegierten Bevölkerungsschichten das „Privileg“ des Privatgartens auf großdimensionierten Abstandsgrünflächen anbieten, ohne vermeintlich wirtschaftliche Zwänge in den Vordergrund zu stellen. Im Gegenteil, die Förderung von Identifikation und soziale Kompetenz dienen der langfristigen Bindung eines Mieters und zahlen sich aus.
Konstruktive Lösungsansätze
Das Wohnungsunternehmen GBH geht von zwei Seiten an die Herausforderung der Erhaltung und Optimierung von Qualitäten im Außenraum heran:
1. Die mentale Komponente sprich: die Einbeziehung des Kunden / Mieters.
2. Die gärtnerische Komponente: die Verbesserung von Methoden der Pflege
Zu 1: Es gilt zunächst Grundlagen und Verbindlichkeiten zu schaffen, die das Vertragsverhältnis Mieter / Vermieter betreffen.
- Zukünftig werden nicht nur für nachträglich gebaute Mietergärten, sondern auch für bestehende EG-Terrassen Verträge abgeschlossen (siehe Bild 3+4).
- Z.Zt. werden Standards erarbeitet, die sagen: Ein Garten braucht Sichtschutz, einen Zaun plus Tor, eine Hecke und eine Wasserstelle. Die Hecke ist extern durch eine Fachfirma, nicht durch den Mieter zu schneiden (siehe Bild 5).
- Es gibt jährliche Bestandaufnahmen und parallel hierzu „aufsuchende Beratung“ durch externe Fachkräfte. In ausgewählten Arealen werden Gartensprechstunden abgehalten. Reparaturen von Gärten werden bei GBH durch geschultes Personal vollzogen, die im Rahmen eines gemeinnützigen Vereins Mitarbeiter des zweiten Arbeitsmarktes beschäftigen. Für diese Tätigkeiten steht ein Sonderetat zur Verfügung, verwaltet von 1,5 hauptamtlichen grünen Mitarbeitern im Fachbereich Technik (siehe Bild 6) .
- Bei Neubezug werden diese Mitarbeiter informiert und regulieren bzw. reparieren im Rahmen des Sonderetats „Herrichtung zur Vermietung“, der verwaltet wird von der Geschäftsstelle (zuständig für die eigentliche Kundenbetreuung (siehe Bild 7)).
- Animativ werden ein jährlicher Wettbewerb mit großzügiger Preisvergabe und Blumenverteilaktionen veranstaltet. Die vierteljährlich erscheinende Mieterzeitung berichtet darüber. Ein informatives Faltblatt mit gärtnerischen Hinweisen zu Gestaltung und Pflege wird an interessierte Mieter verteilt (siehe Bild 8).
- Bei Modernisierungsmaßnahmen wird vor und nach der Sanierung die Bereitschaft der Mieter für eine Vorgartenpflege abgefragt und in das Pflanzkonzept eingebaut. Vertraglich gebundene Gärten werden wiederhergestellt (siehe Bild 9-14) .
Zu 2: Gestaltung muss Qualität und Nachhaltigkeit vereinbaren. Pflegekosten
müssen dem Mieter als Betriebskosten vermittelbar sein.
- Bei GBH wird die sog. Gartenpflege – gemeint ist die Pflege aller nicht privat angeeigneten Außenanlagen - über einen Mindestzeitraum von 5 Jahren beschränkt ausgeschrieben.
- Die Abkehr von pauschalierten Leistungsbeschreibungen hat sich bewährt. Je genauer die Beschreibung (z.B. Stauden werden neben Gehölzen für den Pflegeaufwand bewusst erwähnt), desto realistischer der Preis. Bezahlt wird nach erbrachter, durch Kontrollbogen nachgewiesener Leistung (Pflege- bzw. Reinigungsgang). Z. B. ein Hackgang von 6 Hackgängen wird mit einem Sechstelpreis dotiert und nicht umgekehrt ausschließlich über einen m²-Preis auf ein Jahr bezogen bezahlt. Die Leistung wird dadurch transparent.
- Außerplanmäßige Maßnahmen wie Gehölzschnitt werden per Nachweis erbracht und nicht pauschal über Fläche abgegolten. Dies ist für den GaLabaubetrieb und den Auftraggeber ohne schwer nachvollziehbare Kalkulationen am praktikabelsten.
- Nicht pflegbare Flächen werden durch einen Sonderetat abgearbeitet und entsprechend nachgepflanzt.
Gestalterische und funktionale Qualitäten werden bei GBH fallweise behandelt. Regenwasserversickerung ist (noch) kein Muss, wird aber dann zwingend und einfallsreich zur Flächengestaltung eingesetzt, wenn Regenwasserleitungen marode und deren Reparatur zu aufwändig ist. Wasserpumpen auf Spielplätzen sind Programm, aber unterliegen einem erheblichen „Vandalismusstress“ und stellen eine ständige Herausforderung dar. Entwicklungen, die die Demographie berücksichtigen, beinhalten das Thema Barrierefreiheit und Ansprüche der älteren Generation. Hier stellt sich beispielsweise die Frage, wie werden aufgelassene Gärten behandelt, die vom Mieter nicht mehr gepflegt werden können.
Die Reaktion auf die täglich stattfindenden Veränderungen im Alltag, der Begegnung des Zeitgeistes und die Standhaftigkeit zur Erhaltung der zeitlosen Erscheinung „Grün“ ist die ständige Herausforderung des Berufsstandes. Denn die Komplexität des Herangehens steht in seiner Aufgabenstellung den meisten Herausforderungen unseres medialen Zeitalters in nichts nach, im Gegenteil erscheint es gegenüber technokratischen Vorgehensweisen erheblich aufwändiger und anstrengender – wahrlich als „Kärrnerarbeit“. Es erfordert Beharrlichkeit.
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