Kampf für das Kulturerbe
Da, wo sich GaLaBau und Straßenbau treffen, geht es in der Regel um Pflasterflächen. Der Bauunternehmer Rüdiger Singbeil versucht den Spagat, um die Tradition des Natursteinpflasterns hoch zu halten; ein Balanceakt, bei dem es nicht nur um die Auswirkungen des kostenoptimierten Bauens auf die Gestaltungsqualität geht, sondern auch um Befindlichkeiten und den Umgangston. Wir haben uns seine Rolle erklären lassen.
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#WirImGaLaBau
Das Pflasterhandwerk hängt heute zwischen GaLaBau und Straßenbau. Es leidet unter der Veränderung der Schwerpunkte in beiden Branchen und schwindendem Wissen. Rüdiger Singbeil und sein Verein wollen dazu beitragen, die handwerkliche Qualität auch im GaLaBau zu steigern – zum Wohl der Branche.
Für Rüdiger Singbeil geht es nur um die Sache. Wenn sonntags in der facebook-App auf dem Smartphone ein roter Punkt erscheint, ist der Niedersachse in der Social Media aktiv, begrüßt Neuankömmlinge in einer von drei Gruppen, wirbt für Pflastererschulungen oder postet Beispiele von guten Arbeiten. Singbeil, Jahrgang 1956, hat den Pflasterbau noch in einer Zeit gelernt, als Autobahnparkplätze mit Kleinpflaster befestigt wurden. „Den Beruf des Straßenbauers gab es noch nicht so richtig", erzählt Singbeil über seine Ausbildung und wochenlanges Pflastern von Stellplätzen, Gossen und Gräben entlang der A7 bei Göttingen.
Wir sitzen bei einer Tasse Kaffee in seinem Büro in Peine und der Unternehmer blickt zurück auf eine Karriere, die über Fachabitur und Hochschulabschluss im Verkehrs- und Wasserbau, über zwei Jahre in der Entwicklungshilfe in Sambia und die Bauleitertätigkeit in die Selbstständigkeit geführt hat. Singbeils Einsatz gilt bis heute der Qualität; und ganz besonders der Qualität im Pflasterbau.
Interessengemeinschaft gegründet
Eigentlich ist Singbeil Bauunternehmer. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland stieg er als Bauleiter bei seinem ehemaligen Chef ein, leitete eine aufgekaufte Tochterfirma und machte sich später in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Gelände einer früheren Raiffeisengenossenschaft selbstständig. Am Speichersilo auf dem Betriebsgelände lässt sich die Vornutzung noch deutlich ablesen. Singbeil ist auf Hausanschlüsse in der Ver- und Entsorgung spezialisiert. Sein Unternehmen macht Straßen-, Tief- und Rohrleitungsbau, verlegt Kabel und Rohre direkt ins Haus – und oft im Bestand. Für die Firma heißt das auch: aufgerissene Pflasterbereiche müssen wiederhergestellt, Außenanlagen wieder neu angelegt werden. Seit Februar 2005 führt das Unternehmen das Zertifikat der Gütesicherung Pflasterbau für den Bereich ist die Ausführung von Pflasterbauarbeiten. Im Rahmen der Fremdüberwachungen wird dafür alle drei Jahre festgestellt, ob die Güte- und Prüfbestimmungen eingehalten werden.
Der GaLaBau als Partner trat also in Singbeils Alltag immer wieder auf. „Ich bin schon immer eher zur GaLaBau nach Nürnberg gefahren als zur bauma nach München", sagt Singbeil lächelnd. Da hätten schon die Maschinengrößen viel besser zu den eigenen Aufträgen gepasst.
Heute werden wahrscheinlich die meisten Natursteinpflasterflächen eher unter der Regie von GaLaBau-Betrieben gebaut. Denn im Straßenbau wird die ehemalige Kernkompetenz schon lange nicht mehr gepflegt. „Da kommt jetzt unter anderem die Digitalisierung mit rein, deswegen muss man in anderen Bereichen Abstriche machen", blickt Singbeil kritisch auf die Ausbildung in seinem Gewerk. Dazu sei mehr Maschinentechnik im Rahmenprogramm hinzugekommen sowie Kanal-, Beton- und Asphaltbau. Da bliebe für das Vermitteln von Natursteinverbänden wenig Raum. Der Trend zu größeren Betrieben, die sich überwiegend im Submissionsgeschäft mit Großprojekten beschäftigen, drängt den Pflasterbau weiter in Randbereiche. Gleichzeitig sind auch im GaLaBau viele Defizite auszumachen. Das Arbeiten mit gesägten Materialien und das Fehlen von Ausbildern mit Pflastererhintergrund sorgen dort für eine Nivellierung nach unten. Das ehemals selbstständige Pflasterhandwerk fristet mittlerweile selbst in früheren Hochburgen wie Bayern, Sachsen oder Bremen nur noch ein Nischendasein. Für Singbeil war das ein guter Grund, sich einer Reihe namhafter Steinsetzer wie Robert Sikorski und Frank Schnitzler anzuschließen und Mitte Januar 2011 den Verein „Interessengemeinschaft (IG) Deutscher Pflasterer und Steinsetzer" zu gründen. Der Verein konnte also dieses Jahr sein 10-jähriges Bestehen feiern.
Ziel: Kultur sichern
Von Anfang an war es Ziel, das gefährdete Handwerk zu retten und altes Wissen für die Zukunft zu sichern. Die Vorstandsmitglieder und Mitgründer Robert Sikorski und Frank Schnitzler (siehe Porträts dega5500 ) freuen sich mittlerweile über etwa 90 Mitglieder im Verein. Rüdiger Singbeil ist einer der aktivsten Protagonisten der Gruppe. Er war es, der 2016 die Wanderausstellung „Pflasterhandwerk – Zunft mit Zukunft" organisierte und auch in den Folgejahren dafür sorgte, dass sie von Ort zu Ort ziehen konnte. Er steckte maßgeblich hinter der gleichnamigen Broschüre zur Ausstellung, für die er sich von DEGA die Unterzeile „Gib mir den Pflasterer zurück" auslieh. Unter diesem Titel hatten wir 2010 zum Erhalt des Handwerks aufgerufen.
Auch in der Social Media ist es in erster Linie Singbeil, der regelmäßig drei facebook-Gruppen zum Thema betreut (Links unter dega5500 ). Alleine die Gruppe „Natursteinpflaster, aber richtig gesetzt!", die er mit dem Vereinsvorsitzenden Robert Sikorski und dem gelernten Landschaftsgärtner Claus Beißner aus Bielefeld administriert, ist mittlerweile auf über 6.000 Mitglieder gewachsen. In zwei GaLaBau-Gruppen auf der Plattform ist er ebenfalls mit seinen Natursteinpflasterthemen präsent; ein Job, der nicht nur Zeit kostet, sondern manchmal auch ganz schön viel Nerven; etwa wenn Diskussionen entgleisen. Die Beziehung zwischen Landschaftsgärtnern und Steinsetzern verläuft nicht immer störungsfrei. Der Ton – und das passiert auf facebook ziemlich schnell – geht das eine oder andere Mal daneben und dann gibt ein Wort das andere. Es geht um mangelnde Qualität, harte Kritik, Pauschalurteile – und ganz viel Befindlichkeit. Zuletzt knallte es im Februar heftig. Für Singbeils Anliegen, die Werte eines alten Handwerks auch dem GaLaBau nahezubringen, sind solche Auseinandersetzungen lokale Rückschläge. Zumal die Vorwürfe falsch sind: Der Unternehmer profitiert nicht von seiner Social Media-Arbeit. Alles Wirken ist Idealismus, sein Betrieb hat von der Arbeit ebenfalls nichts; ganz im Gegenteil: In der Firma muss das Fehlen des Seniorchefs wegen ehrenamtlicher Einsätze kompensiert werden. Und die gehen weiter. Sein letzter Coup für das Pflasterhandwerk war der Antrag des Netzwerks Pflasterbau für die Aufnahme auf die UNESCO-Liste „Immaterielles Kulturerbe". Die UN-Sonderorganisation für Kultur, Bildung und Wissenschaft will mit der Liste lokale Traditionen und historische Gewerke vor dem Aussterben schützen. In Österreich ist die Pflasterei schon seit 2018 auf der Liste. In Deutschland könnte sie dieses Jahr aufgenommen werden, wenn die Kultusministerkonferenz ihren Segen dazu gibt. Die Entscheidung stand zum Redaktionsschluss noch aus.
Nachwuchs durch Schulungen
Singbeil ist zugleich Obermeister der Straßeninnung in Braunschweig und 1. Vorsitzender in der Prüfungskommission. „Ich organisiere die Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der Innungsbetriebe", erklärt der 65-Jährige einen seiner weiteren ehrenamtlichen Jobs. Für die Pflasterzunft ist das ein Segen, denn durch die Tätigkeit hat der Niedersachse gute Kontakte zu den Bildungseinrichtungen aufgebaut und so auch Räumlichkeiten für eigene Lehrgänge akquirieren können. Die ersten Kurse fanden in Mellendorf statt, dann kam der Verein in Braunschweig bei den Zimmerleuten, Maurern und Stuckateuren unter. Als es im Zuge der Integrationskurse dort zu eng wurde, knüpfte Singbeil den Kontakt zum Baumaschinenhändler MBN in Stadthagen. Geschäftsführer Lars Hoppe hatte gerade eine neue Demohalle mit riesigem Sandkasten gebaut – ideale Bedingungen für Winter- und Vorfrühlingskurse im Pflasterbau. „Wir haben dort die Möglichkeit, relativ günstig unterzukommen", beschreibt Singbeil den Vorteil der Zusammenarbeit. Außerdem gäbe es ein Hotel im Ort, in dem man relativ günstig übernachten könne. 10 Leute können während der Coronazeit in der Halle parallel arbeiten – unter Wahrung der Abstandsregeln. Sonst wären es bis zu 17. Ziel ist es, möglichst viele junge Leute im Pflastern weiterzubilden. Das soll auch durch faire Preisen erreicht werden. 425 Euro kostet ein 5-Tages-Kurs für Azubis und bis zu 700 Euro (für Nichtvereinsmitglieder), zuzüglich Übernachtung mit Frühstück. „Es ist nicht gewinnorientiert", erklärt Singbeil die günstige Pauschale. Auch die Anleiter lehren zu Wochenpauschalen von weniger als 1.000 Euro. Drei Kurse sind dieses Jahr von Januar bis März gelaufen.
Teurer ist, wer sich am Europäischen Institut für postgraduale Bildung – kurz EIPOS – zum Fachingenieur, Fachplaner oder Fachbauleiter (m/w/d) für Pflasterbau ausbilden lassen möchte. Neben den Bauverbänden, dem Betonverband Straße, Landschaft, Garten SLG, dem Deutschen Naturwerksteinverband (DNV) gehört auch die IG dort zu den Trägerverbänden und übernimmt als Kursbestandteil die Praxisschulung im Versetzen von Natursteinpflaster. Zwischen 2.250 und 2.550 Euro kosten die Kurse in Dresden.
Qualität lohnt sich
Singbeil Bau ist auch Mitglied der Initiative für Ausbildung. Auf Nachwuchs wird besonderen Wert gelegt. Besonders freut sich der Norddeutsche, wenn einer der jungen Leute in den Pflasterkursen Feuer für das alte Handwerk fängt. Fabian, einer seiner eigenen Azubis, ist letztes Jahr Landesbester in Niedersachsen bei den Straßenbauern geworden. Zusammen mit einem weiteren Azubi hat Singbeil mit ihm, der Baufirma Benckendorf und der IG ein Projekt in Peine durchgezogen. Die beiden Auszubildenden haben eine Woche lang eine Auffahrt mit Naturstein befestigt und haben sich dabei filmen lassen. Daraus ist ein Imagefilm (siehe links über QR-Code) entstanden, mit dem die IG jetzt werben will. „Unser Ziel ist, wie bei der Ausstellung, dass man das Pflasterhandwerk wieder ganz anders wahrnimmt", erklärt der Unternehmer.
Dass Deutschland hinter Österreich und der Schweiz zurück ist, zeigt sich auch daran, dass in den beiden Alpenländern noch Pflastermeister (in der Schweiz: Pflästerermeister) ausgebildet werden. Die Kompetenz im Umgang mit Natursteinen ist dort rege nachgefragt; im Hausgarten, aber auch im Sanierungsbereich. Die Schulungsstätten in Schwanenstadt (www.pflastermeister.at, siehe S. 24) und im Steinbruch Guber (www.pflaesterer.ch) genießen einen guten Ruf. Diese Einsatzbereiche sehen die IG und Singbeil auch in Deutschland: „Wir wollen, dass das Material, was Jahrzehnte lang gelegen hat, wenn es rauskommt auch wieder richtig reinkommt", beschreibt der Niedersachse den Fachkräftebedarf bei der Sanierung historischer Straßen und Plätze. So war es auch schlüssig, dass der Verein sich an der Broschüre „Altstadtpflaster ganzheitlich gestalten" der Arbeitsgemeinschaft Historische Stadt- und Ortskerne in NRW (siehe rechts, dega5500 ) beteiligte. Auch auf dem Feld war Singbeil netzwerkend unterwegs.
Demnächst im Ruhestand?
3 bis 5 Jahre will Singbeil noch weitermachen in seinem Unternehmen; dann wäre er fasst 70. Ein Projekt hat er schon losgelassen. Der Name „HSN", der Gerätevermietung, die seine Frau Gisela Singbeil von 1994 bis 2019 als Geschäftsführerin geleitet hatte, wurde nach 25 Jahren an einen örtlichen GaLaBau-Betrieb verkauft. Die umbenannte Firma dient jetzt als „Singbeil-Besitz GmbH" der Vorhaltung und Wartung von Fahrzeugen und Maschinen für das Bauunternehmen. Zum 25. Betriebsjubiläum 2024 soll einer der beiden Söhne die Betriebsnachfolge übernehmen. Robin Singbeil ist schon seit 13 Jahren im Betrieb als Bauleiter und Prokurist tätig. Dass der Senior nach Ende seiner Karriere die Tage am Strand verbringt, ist kaum anzunehmen. Eher auf dem Pflaster. Denn dem gehört seine Leidenschaft.
Bilder:(1),(2),
Singbeil Bau GmbH
Firmengründung: 1/1999
Gesellschaftsform: GmbH
Geschäftsführer: Rüdiger Singbeil
Umsatz: 3.212.000 € (2019)
Gewinn: keine Angaben
Materialkostenanteil: 28,7 %
durchschn. Verrechnungssatz: 51,50 €
Mitarbeiter: 46, davon 3 Ingenieure, 1 Techniker, 2 Meister, 18 Gesellen, 6 Auszubildende, 6 Fachfremde
Mitarbeiter Büro: 2
Bauleiter: 5
Baustellenleiter: 8
Kolonnen: 10
Fuhrpark/Maschinen: 6 Pkw, 3 Lkw und 14 Transporter, 10 Bagger/Minibagger, 4 Radlader, 2 Asphalt-Thermobehälter, 1 Gussasphaltkocher-Anhänger
Auftraggeberstruktur: Privat (10 %), Gewerbe (27,5 %), Wohnungswirtschaft (2,5 %), öffentliche Hand/Submission (inklusive Pflege) (5 %), Weitere (55 %, Energieversorger, Stadtwerke, Wasserverband, Telekom)
Mitgliedschaften und Systembeteiligungen: IG Deutscher Pflasterer, Baugewerbe-Verband und, Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen, QS Pflasterbauarbeiten, GS Kanalbau, DVGW-Rohrleitungsbauunternehmen
EDV-Lösungen: BauSU für Windows
Zunehmend weniger Wissen
Der Wissensstand der Teilnehmer, die einen der IG-Pflasterkurse besuchen, werde zunehmend schlechter, ist die Beobachtung des Vereins nach 10 Jahren Erfahrung mit Weiterbildungslehrgängen. Ganz offensichtlich reichen die Ausbildungsbestandteile in der GaLaBau- und Straßenbau-Lehre nicht mehr aus, um vernünftigen Pflasterbau zu vermitteln. Der Verein ist sogar davon überzeugt, dass 90 % der Kursinhalte in der regulären Ausbildung beider Branchen nicht mehr vermittelt werden. Dabei gebe es genügend Talente, aber zu wenig qualifizierte Ausbilder. Über die Schulungen möchte die IG den Qualitätsstandard wieder heben und mehr junge Menschen an das traditionelle Handwerk heranführen.
Kontakt
Berkumer Weg 2, D-31226 Peine
Telefon +49 51 71/545 88-0, , Fax -99
Kontakte
EIPOS Dresden (Frau Zimmermann) www.eipos.de
Interessengemeinschaft (IG) Deutscher Pflasterer u. Steinsetzer e.V. www. netzwerk-pflasterbau.de
Qualitätssicherung Pflasterbauarbeiten e.V. | www.qspflaster.de
Benckendorf | www.benckendorf.de
MBN Stadthagen www.mbn-baumaschinenwelt.de
Initiative für Ausbildung www.initiative-fuer-ausbildung-bauhandwerk.de
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