Weniger Rind, mehr Stier
Auch wenn wir uns oft über Europa ärgern, die Vision eines starken Wirtschafts- und Kulturraums sollten wir dabei nicht aus den Augen verlieren, meint Tjards Wendebourg in seinem Kommentar.
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Wenn Sie gerade damit beschäftigt sind, ihre letzten Kunden auf SEPA umzustellen, werden Sie wahrscheinlich über Europa fluchen – wie unsere Mitarbeiter, die viele Tausend Abonnentendaten bearbeiten müssen. Ständig neue bürokratische Vorgaben aus Brüssel sorgen für Aufwand und zusätzliche unproduktive Stunden. Auch die Verantwortlichen deutscher Regelwerke stöhnen, zuletzt die Initiatoren einer Vornorm (DIN SPEC) für Kunststoffrasen. Jede Euronorm sei eine Aufweichung hoher inländischer Qualitätsstandards meinen sie und trauern dabei natürlich auch der marktabgrenzenden Wirkung der hohen Hürden nach.
Europa hat es nicht leicht dieser Tage. Geldumschichtungen, Verlust nationalen Einflusses, Bürokratie und eine Menge Politiker, denen man die politische Reife abzusprechen geneigt ist. Ganz zu schweigen von den Populisten, die für den Reifetest gar nicht erst infrage kommen. Angefangen von einem bayerische Provinzpolitiker und Neubundesminister, der zu Recht das „Rind“ im Namen trägt, über die Partei „AfD“ bis zu den Straches, Blochers, Le Pens, Wilders‘ und den anderen Bauernfängern, die von Ängsten der Bürger und den Krisen an vielen Ecken des Kontinents zu profitieren suchen.
Aber wenn wir mal alle Stimmen abziehen, die gegen Europa wettern, weil sie auf Kosten der Gemeinschaft eigene Interessen verfolgen, bleibt da immer noch eine Vision. Die Vision der „Europa auf dem Stier“ – eines starken Wirtschafts- und Kulturraums, der sich in all seiner Vielfalt ergänzt, in dem Waren und Leistungen problemlos über Grenzen hinweg angeboten werden können und in dem die Menschen sich über eine gemeinsame Tradition definieren. Machterhaltungsgedanken spielen darin ebenso wenig eine Rolle, wie die Versuche, einseitige Marktvorteile zu erzielen.
Wir hier in der Mitte von Europa haben bisher gewaltig profitiert – egal, ob als Deutsche, Österreicher oder Schweizer. Selbst letztere profitieren von dem Markt, der sie umgibt und dessen Mitarbeiter- und Konsumentenpotenzial. Dass wir dafür erst mal mehr Geld in die Hand nehmen, Gewohnheiten ablegen und mehr Bürokratie in Kauf nehmen müssen, um bei der Angleichung der Lebens-, Rechts- und Marktverhältnisse mitzuwirken, liegt in der Natur der Sache. Es ist ein Zwischenschritt und als solcher akzeptabel. Die Lösungsvorschläge der Euro- und Europa-Kritiker sind eh zumeist rückwärtsgewandt, unsozial und einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft nicht angemessen.
Im Laufe des Jahres ist SEPA Geschichte. Und auch die Qualität europäischer Normen lässt sich auf Dauer wieder steigern; kleine Beispiele, die zeigen, dass man sich mal über Europa ärgern darf, ohne die Vision aus den Augen zu verlieren.
(c) DEGA online, 20.12.13
Dazu auch: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kommentar-zu-csu-forderungen-zur-freizuegigkeit-a-941517.html
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