Wollen wir die Vertragsgesellschaft?
- Veröffentlicht am
Wenn ich die Pocken kriege, weil das Normenwesen überdreht, dann kommt das nicht daher, dass ich gegen eine Steigerung der Bauqualität wäre. Es kommt eher daher, dass ich das Gefühl nicht los werde, dass wir die Normen vorrangig dafür entwickeln, dass für Juristen transparent wird, was wir eigentlich machen wollen. Denn die Normiererei läuft parallel zu einer gesellschaftlichen Entwicklung, die versucht, jeden Schritt in bürokratisch formulierte Regeln zu fassen. Diese Regeln sind in allererster Linie für die juristische Auseinandersetzung gemacht, weshalb Juristen zunehmend unsere Gesellschaft bestimmen. Das wiederum führt dazu, dass immer weniger derjenige Recht bekommt, der recht hat, sondern der, der sich die besseren Anwälte und die größere Zahl an Instanzen leisten kann.
Durch das Internet hat dieser Wahnsinn noch einmal eine richtige Beschleunigung erfahren. Dadurch, dass wir vieles öffentlich machen, ist es auch viel leichter geworden, uns Verstöße gegen Paragrafen nachzuweisen. Und schon, weil es ein lukratives Geschäft ist, nach solchen Vergehen zu fahnden, dürfen wir uns berechtigte Sorgen machen, dass uns das jederzeit passieren kann. Nicht umsonst haben wir die zwei Rechtsfälle im Porträt in diesem Heft (ab S. 20) ausführlich dargestellt. Sie belegen nämlich, wie wir uns mit unserem Tun mittlerweile in einer dauerhaften rechtlichen Grauzone bewegen und unser Schicksal in den Händen von Rechtsanwälten und Richtern liegt. Wie in einer Parallelgesellschaft sorgen abgrenzende Formulierungen und hohe Kosten für die Abschottung eines Geschäfts mit dem Recht, das satte Umsätze verspricht.
Wir brauchen die Normen, die Regeln und Gesetze. Aber wenn es uns nicht gelingt, zwischen Laissez-faire, Kreativität, gesundem Menschenverstand und dem Hang zu Regeln einen Ausgleich zu schaffen, wird uns nicht nur das Lachen vergehen. Marodierende Rechtskundige sind bestens dazu geeignet, zum Hemmschuh einer Gesellschaft zu werden. Wenn sich aus Angst vor Rechtsverletzungen nämlich nur noch Konzerne trauen, sich Kreativität zu leisten, werden wir unserer Stärke beraubt: dem Ideenreichtum der vielen Köpfe in Selbstständigkeit oder kleinen Unternehmen. Das kann ja wohl keiner wollen. Wir brauchen auch die Regelkundigen. Aber die Dominanz der Regelkundigen über die Unkundigen ist systemgefährdend.
Ich bezweifele, dass Europa an der Entwicklung schuld ist. Denn das Regeln, Normieren und In-Gesetze-fassen konnten wir lange vor Europa. Aber durch die Union ist die Sache abstrakter und wir sind fremdbestimmter geworden. Ein guter Grund, am 25. Mai zur Wahl zu gehen, und einen Kandidaten zu wählen, dessen wir persönlich habhaft werden können, wenn wir uns wieder einmischen müssen; spätestens wenn das nächste Vertragswerk auf den Tisch kommt, das unser Leben reglementiert.
Tjards Wendebourg, in DEGA GALABAU 5/2014
(c) DEGA online, 6.5.14
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.