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EIN KOMMENTAR VON TJARDS WENDEBOURG

Die Chance des Lebens

Nun haben wir monatelang zugeschaut, wie sich die Menschen andernorts die Köpfe einschlagen. In vielen Regionen liegt die Wirtschaft darnieder, China schwächelt, während sich in Deutschland der Geschäftsklimaindex schon wieder nach oben bewegt. Die Situation ist paradox. Jahrelang schien uns das alles nur wenig zu tangieren. Doch plötzlich steht die Welt auf der Matte – und das Land steht Kopf. Eine kleine Krise – die nicht mal unseren Wohlstand berührt – und schon ist der soziale Friede in Gefahr.
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Unser Leitartikler: Tjards Wendebourg
Unser Leitartikler: Tjards WendebourgVolker Michael
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Aber das Ganze wird ja noch absurder. Seit Jahren wissen wir, dass die Bevölkerungspyramide in Zukunft nicht mehr auf dem Sockel, sondern auf der Spitze stehen wird. Selbst bei einer Einwanderung von jährlich 200.000 Menschen würde das Land bis 2060 von derzeit 80 auf 73 Mio. Einwohner schrumpfen. Der Freistaat Sachsen beispielsweise würde unter gleichen Bedingungen ein Viertel seiner Bewohner verlieren; zumal diese Prognose noch optimistisch ist, weil bei derzeitiger Stimmungslage kaum wahrscheinlich ist, dass es dort überhaupt Zuwanderung geben wird. Die negative Bevölkerungsentwicklung bedeutet: Mangel an Arbeitskräften, Überalterung, fehlende Einzahler in die Sozialsysteme, riesige Kosten für den Rückbau oder die Instandhaltung ungenutzter Infrastruktur, totale Entvölkerung bestimmter Landstriche, nachlassende Wirtschaftskraft und schleichender Wohlstandsverlust. Die ersten Vorboten sind bereits messbar: Es fehlt an Lehrlingen, in vielen Berufen an Arbeitskräften und in ländlichen Gegenden sind die Immobilienwerte – ein nicht unerheblicher Teil des privaten Vermögens – in den Keller gerutscht.

Doch nun stehen plötzlich Menschenmassen vor der Tür und wollen ins "gelobte Land"; ein Glücksfall eigentlich. Aber offensichtlich ist die Regierung genauso überrascht wie der Bürger, dass sich in einer globalisierten Welt eine Insel der Glückseligkeit nicht in eine Richtung absperren lässt. Statt den Prozess zu moderieren, überlässt sie die Deutungshoheit dem rechten Mob auf der Straße und in sozialen Netzwerken. Statt mit drakonischen Strafen Brandstiftung und Volksverhetzung zu ahnden, senken ausbleibende Härte und mangelnder Widerspruch die Hemmschwelle einer gewaltbereiten Minderheit, die Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung ausnutzt. Wer seinen Kopf nicht nur zum Kappe tragen nutzt und das menschenverachtende Treiben kritisiert, wird in bestimmten Kreisen öffentlich als „Gutmensch“ beschimpft. Derweilen gehen beschämende Szenen um die Welt, welche die Frage aufdrängen, wie weit es her ist mit unserer Wertegemeinschaft, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen sich wie Tiere aufführen oder brandschatzend und gewaltverübend durch die Lande ziehen dürfen.

Es gibt nicht nur eine Sicht auf die Situation. Aber angesichts unserer eigenen Perspektive, der historischen Dimension und der Chancen, die ihr innewohnen, ist es wohl das allermindeste, dass wir wieder die Deutungshoheit über die Diskussion zurückgewinnen und nicht per se fremdenfeindlichen und gewaltbereiten Hohlrüben die Agenda überlassen. Gerade als eine Branche, die extrem unter dem Fachkräftemangel leiden wird, bedeutet eine gut gemanagte (!) Zuwanderung eine riesige Chance. Wir brauchen keine Luxuszuwanderer, die 46.000 Euro im Jahr verdienen und über eine BlueCard oder ähnliche intellektuelle Fehlkonstruktionen ins Land kommen. Wir brauchen Menschen, die in ihrer Heimat mit den Händen gearbeitet haben, motiviert sind und es nicht ungewöhnlich finden, draußen ihr Geld zu verdienen.
Wenn die Regierung ausfällt, sind wir gefordert, unsere demokratische Reife zu beweisen und zu zeigen, dass wir verstanden haben, was uns die lange Friedensperiode an Vorteilen gebracht hat.

Nehmen Sie auch Ihre Mitarbeiter mit. Seien Sie so lieb, ihnen zu erklären, dass wir unser Geld nur in einem Klima verdienen, das von sozialem Frieden bestimmt wird. Machen Sie ihnen bewusst, wie fragil die Basis ist, auf der wir stehen. Vermitteln Sie ihnen, dass sie selbst auch Menschen brauchen, die ihre Rente bezahlen. Und fordern Sie den oder die Land- und Bundestagsabgeordnete(n) auf, endlich Position zu beziehen, Flagge zu zeigen und die Regierungen in Bund und Ländern zum Handeln zu bewegen. Allein können das die Kommunen nicht leisten - sie sind überfordert.

Die Zuwanderung ist eine riesige Chance. Aber sie ist auch eine riesige Aufgabe. Und sie verlangt von der Politik, dass sie damit aufhört, unbequeme Entscheidungen in zukünftige Legislaturperioden zu verschieben. Von uns verlangt sie, dass wir den Kopf zum Denken benutzen und uns nicht von Ängsten leiten lassen. Das ist angesichts der Perspektiven nicht zu viel verlangt.

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