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Kommentar | Tjards Wendebourg

Der Umgang mit dem scheuen Reh

Die Jugendliche oder der Jugendliche von heute ist ein scheues Reh. Nach meist unbeschwerten Schuljahren in einem Zuhause, in dem mindestens ein Elternteil alles für den Nachwuchs getan hat, sind die meisten weder an widrige Wetterbedingungen noch schwere Arbeit oder gar einen rauen Umgangston gewöhnt.
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Redaktion
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Sie kommen aus einem gewohnten Umfeld mit vertrauten Bezugspersonen. Laufen Dinge nicht wie erwartet, werden sie schnell beendet.

Man kann darüber lamentieren oder einfach zu der Erkenntnis kommen, dass die Erwartungen der Jüngeren von uns, den Älteren, durch unsere Erziehung geprägt worden sind. Es soll nicht jedes Verhalten des Nachwuchses entschuldigen. Aber vielleicht hilft die Erkenntnis dabei, mit der Situation umzugehen. Wir haben unseren Kindern ein Leben vorgelebt und ihnen mehr Steine aus dem Weg geräumt, als vielleicht notwendig und sinnvoll war, um den Umgang mit dem Steinewegräumen lernen zu können.

Ich war unlängst an einer Diskussion in einem Forum beteiligt, in der sich ein Unternehmer darüber beklagte, dass erfolgreiche Azubi- und Mitarbeiterakquise immer mit „guter Behandlung“ in Verbindung gebracht werde. Die habe er an den Tag gelegt und es sei trotzdem nicht erfolgreich gewesen. Nun wissen wir alle nicht, was der Kollege unter „guter Behandlung“ versteht. Fakt ist aber, dass es sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal ist, Menschen gut zu behandeln. Es sollte vielmehr selbstverständlich sein.

„Gut behandeln“ heißt im Falle der Neuankunft junger Menschen im Betrieb erst einmal, sich in ihre Situation hineinzudenken. Es sind ganz oft Menschen, die in ihrer Vergangenheit viele Alternativen aufgezeigt bekommen haben und nun entscheiden müssen, ob es das richtige war, bei Ihnen anzufangen. Schließlich wollen die meisten ja ihren Platz im Leben finden. Deshalb heißt gut behandeln, sie vom ersten Tag an ernst zu nehmen, sie mitzunehmen, ihnen die Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu vermitteln, ihnen beim Einordnen in das soziale Gefüge zu helfen und ihnen ihre Perspektiven aufzuzeigen. Vertrauen, Fairness und eine ausgeprägte Fehlerkultur helfen dabei ungemein.

Das gilt besonders auch für diejenigen Jugendlichen, die einen weniger optimalen Lebensstart hatten und kaum etwas von anderen erwarten. Die haben zwar oft keine Erwartungen – jedenfalls keine positiven –, die enttäuscht werden könnten. Dafür fallen sie schneller in ihre Reaktionsmuster zurück, wenn sich negative Erlebnisse wiederholen. Diesen Jugendlichen hilft die Wertschätzung, das persönliche auf sie Eingehen und das Entwickeln individueller Perspektiven besonders. Gerade bei diesen kann der Überraschungsmoment auf unserer Seite liegen.

Vergessen wir nicht: In erster Linie wollen wir etwas von den jungen Menschen, die da zu uns kommen. Wir wollen für uns ein Stück Zukunft und eine/n wertschöpfende/n Mitarbeitende/n. Wir werden deshalb erst mal auch kaum Dankbarkeit von ihnen dafür erwarten können, dass wir ihnen etwas beibringen. In ihren Augen ist das unsere Pflicht und Schuldigkeit. Und je eher wir die Geschichte vom „Lehrherrn und dem Lehrburschen“ in die unterste Schublade der Geschichte stecken, desto eher sind wir erfolgreich. Diese Erkenntnisse machen es leichter, die Perspektive der Neuankömmlinge einzunehmen und Energie in den Bindungsprozess zu investieren. Denn wer scheue Rehe zähmen will, muss sich schon etwas einfallen lassen.

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