Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Tierfreundliche Zäune

Durchlass statt Festung

Artenvielfalt ist zunehmend ein Thema im Kundengespräch. „Obenrum“ wird also viel getan für Leben im Garten – doch wie steht es um die Gartenbesucher, die auf Knöchelhöhe unterwegs sind, zum Beispiel Igel, Siebenschläfer oder Amphibien? Parzellierte und festungsartig eingefriedete Gärten machen ihr Leben zum Hindernislauf. Es gibt einfache und ansprechende Lösungen.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
 Dieser Jung-Igel passte gerade noch durch. 10 cm lichte Höhe müssen mindestens gegeben sein, damit auch ein erwachsener Igel die Einfriedung queren kann. Geringere Abstände führen vor allem bei Maschendraht zu Verletzungen.
Dieser Jung-Igel passte gerade noch durch. 10 cm lichte Höhe müssen mindestens gegeben sein, damit auch ein erwachsener Igel die Einfriedung queren kann. Geringere Abstände führen vor allem bei Maschendraht zu Verletzungen. Igelzentrum Zürich/Simon Steinemann
Artikel teilen:

Eines Abends kreuzte vor mir ein Igel die Straße. Wenige Meter vor mir auf dem Gehweg begann für ihn eine sehr lange Strecke: Es dauerte circa zehn Grundstückslängen von je 12 m, bis es ihm gelang, abzubiegen und sich vor dem Autoverkehr in Sicherheit zu bringen. Puuh, dachte ich damals, gerade noch mal gut gegangen. Erst später wurde mir bewusst, dass nicht die Stadtplaner, sondern die Anlieger (und ihre Landschaftsgärtner) darüber entscheiden, inwieweit unsere Siedlungen in Kontakt bleiben mit der umgebenden Kulturlandschaft und Natur. Eine ebenso hohe Bedeutung kommt der inneren Vernetzung von Gärten und Freiflächen zu. Die Weichenstellung dafür erfolgt bei Planung und Bau der Einfriedung, sprich der Zaunanlagen.

Zwölf Straßenzüge, ein Revier

Das aktuelle Preisniveau bei Baugrundstücken und die Flächenverknappung in bestimmten Lagen führen zu immer kleineren Grundstücken. Vor allem in eng parzellierten Wohnlagen verstärkt sich bei vielen Bauherren der Wunsch nach Abgrenzung und Sichtschutz. Das Budget hierfür wird selten gestrichen. Wird es für die Ersteinfriedung auf ein Minimum zusammengekürzt, kommen für die ersten Jahre nur noch bestimmte Zaunbauweisen wie Wild-Drahtzäune aus Knotengeflecht oder Maschendraht in Frage. Meist erfolgt dann kein Rückbau und verdeckt von der zwischenzeitlich herangewachsenen Grenzbepflanzung bleiben diese Grundstücke unzugänglich für Kleintiere. Das Revier eines Igelmännchens umfasst bis zu 1 km 2 Fläche. Ohne bodengebundene Verbindungen zwischen den Grundstücken sinkt die Chance auf sein Überleben in der Siedlung. 

Der Winter ist die Zeit der Klarheit: Überall leuchten uns Einfriedungen entgegen, die Kaschierung durch Grün fehlt. Wir können messen, abschreiten und feststellen: Viele Wohngebiete sind eine Aneinanderreihung kleiner Verteidigungsanlagen. Die aktuell am häufigsten gewählte Zaunbauweise ist die zwischen Metallpfosten eingehangene Stabmatte. Auch bei sockelfreier Errichtung wird hiermit der innenliegende Gartenraum für Jahrzehnte abgeschottet, denn als Material kommt mindestens feuerverzinkter Stahl zum Einsatz.

Die guten alten Jägerzäune gibt es nur noch selten. Bekannt auch als Scherenzaun und früher häufig ein Fall für „Selbst ist der Mann“, sind sie heute verpönt. Schade, denn damit geht eine der  – hinsichtlich der Biodiversität – besten Einfriedungsbauweisen verloren. Während wir uns „drinnen“ auf der Garteninnenseite über insektenfreundliche Bepflanzungen Gedanken machen, bleibt ein großer Teil der Artenvielfalt draußen, auch der beliebte Igel.

Odyssee der Nachtjäger

In unseren Gärten und Freiflächen ist der Braunbrust-Igel unterwegs, eine von 16 Stacheligelarten, die in Europa und Eurasien leben. Erwachsene Igel legen hierzulande auf ihrer nächtlichen Nahrungssuche bis zu 2 km zurück. Dank seiner exzellenten räumlichen Erinnerung steuert der Igel Durchschlüpfe und Stellen mit reichem Nahrungsangebot gezielt an. Während wir schlafen, findet draußen zunehmend ein Marathon statt, um viele unüberwindbare Grundstückslängen zu bewältigen. Denn längst ist der Verbreitungsschwerpunkt des Igels nicht mehr die sogenannte freie Landschaft, sondern der Siedlungsraum. Gärten, Parks, ja selbst Außenanlagen von Gewerbeimmobilien zählen zu den strukturreichsten Räumen in intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen.

Der Igel zum Beispiel steht in Bayern auf der Vorwarnliste, das heißt, die Zahl der Tiere ist rückläufig. Erfolgt keine Trendwende, wird auch diese frühere „Allerweltsart“ auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten kommen. Wie also können wir die Ansprüche des Igels an seinen Lebensraum in unsere bautechnische Ausführung integrieren?

Barrierefreiheit für alle

Als vor etwa zehn Jahren das Thema Barrierefreiheit am Bau stärker in den öffentlichen Fokus geriet, war noch nicht vorstellbar, was heute in vielen Kommunen Normalität ist: Taktile Leitsysteme in öffentlichen Gebäuden und Freiräumen, Querungshilfen an (vielbefahrenen) Straßen und vieles mehr. Übertragen auf den GaLaBau könnte das bedeuten: Wir verbauen nur noch Fertigzäune mit standardmäßigen Aussparungen, wir verzichten auf durchgängige Einfriedungen zwischen Gärten und sonstigen verkehrsarmen Freiflächen, um Vernetzung zu fördern. Und wir investieren allenfalls in bodenbündige straßenseitige Einfriedungen, um die Zahl der überfahrenen Säugetiere zu reduzieren.

Statt „6/5/6“ oder „8/6/8“ – die beiden am meisten verkauften Doppelstabmattensysteme – bestellen wir in Zukunft vielleicht „6/5/6 alive“? Alternativ warten wir Landschaftsgärtner – „Wir machen das!“ – nicht auf die Hersteller: Wir nehmen das Thema Biotopverbundpotenzial selbst in die Hand und, Flex sei Dank, fertig ist der Igel-Durchschlupf! Ein Zaunloch mit 10 bis 12 cm lichter Höhe und Breite genügt für den Igel und ist in der Regel zu klein für ungebetene Gartengäste wie Füchse oder Hunde.

Die Flucht von Zaunpfosten regelt DIN 18202. Bei einem Nennmaß Mitte Zaunpfahl zu Mitte Zaunpfahl unter 3 m ist eine Abweichung von der Flucht von 8 mm zulässig. Für das Nennmaß 3 bis 6 m ist eine Abweichung von maximal 12 mm zulässig. Gehen wir es an und integrieren wir entsprechende funktionelle Maße für Kleintiere!

Rechtlicher Rahmen

In einigen Bundesländern, darunter Bayern, gilt das ausdrückliche Verbot „tiergruppenschädigender Anlagen oder Bauteile“. Darin eingeschlossen sind Sockelmauern bei Zäunen. Ziel ist es, „die Durchlässigkeit der Siedlungsränder für die Fauna, insbesondere für die Klein- und Mittelsäuger, zu gewähren.“ Die Vorgabe „sockelfrei“ findet sich daher auch in vielen Bebauungsplänen unter dem Stichwort Einfriedung. Das Thema ist also nicht neu, allein die Geschwindigkeit und Endgültigkeit (Stahlmatten), mit der wir derzeit Freiflächen weiter parzellieren und einfrieden, sollte uns in allen Folgen bewusst sein.

Mit dem Ziel, die Artenvielfalt und den Biotopverbund zu fördern, wurde in Folge des Volksbegehrens „Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen!“ das sogenannte Gesamtgesellschaftliche Artenschutzgesetz im Juli 2019 vom Bayerischen Landtag beschlossen. Das dort verankerte noch stärkere Vernetzen von (Lebens)räumen hat einige personelle Aufstockungen in der staatlichen Biodiversitätsberatung gebracht. Eine von den GaLaBau-Verbänden Bayern und Baden-Württemberg geförderte Arbeitsgruppe befasst sich mit der verstärkten Integration des Themas an den süddeutschen Berufs- und Meisterschulen in den nächsten Jahren. Die Checkliste gibt Anhaltspunkte für die fortlaufende Kundenberatung im Garten- und Landschaftsbau.

Eins oben drauf setzen

Schauen wir beim Thema Barrierefreiheit für Igel & Co. genauer hin, wird schnell klar: Der Zaun selbst kann Lebensraum sein, wenn vor allem Astholz – das Null-Transport-Zaunmaterial – nicht abgefahren, sondern vor Ort formschön verbaut wird (siehe Beitrag „Tot, aber lebendig“ in DEGA 2/2021, Webcode dega5478 ). Igel beispielsweise benötigen mehrere Tagesverstecke in ihrem Revier. Benjes-Hecken, in letzter Zeit öfter als Totholz-Hecken in den Medien bezeichnet, dürfen als beste Form der biodiversitätsfördernden Einfriedung zwischen Gärten und Grünflächen gelten, allerdings benötigen Nachbarn dafür Platz, Mut und ausreichendes Pflege-Know-how. Im November 2021 ging das Anleitungs-Video „Totholzhecke im Garten anlegen“ der Baumarktkette OBI online – es tut sich was, auch bei der Konkurrenz.

Auch Weidenflechtzäune fördern die Artenvielfalt. Niederländische und deutsche Anbieter verwenden makellos gewachsenes Material, das auch in formale, „aufgeräumte“ Gärten passt. Weniger perfekt, aber nachhaltig wäre es, grundstückeigenes Material zu verarbeiten. 

Was sonst noch sinnvoll ist

Durch unvorsichtigen Einsatz von Freischneidern und Mähern werden jährlich viele Igel und andere Kleintiere verletzt oder getötet. Also: erst nachschauen, dann mähen! Mähroboter werden als ungefährlich für Igel verkauft – mehrere Igel-Stationen berichten Gegenteiliges. In Trockenstress-Gebieten wie Mainfranken ist der Igel zunehmend auf Wasserstellen angewiesen, die ihm von Gartenbesitzern und Flächenmanagern angeboten werden sollten. 

Braunbrust-Igel sind ortstreu, das heißt, sie kommen wieder, wenn auch in unregelmäßigen Abständen. Die rund zehn Winter ihres Lebens verbringen sie schlafend an wechselnden Orten. Als Überwinterungsplätze kommen unter anderem Laubhaufen infrage. Sie können gestalterisch gefasst werden, statt in einer „Schmuddelecke“ zu liegen, die von so vielen Kunden abgelehnt wird.

Kleine, unscheinbare Änderungen können entscheidend sein, es braucht also kein Bauprogramm für Tiere. Wir Landschaftsgärtner haben es im Kundengespräch in der Hand. Schaffen wir es, von der aktuellen Bienengartenbegeisterung beflügelt, unsere Perspektive auf 10 cm Augenhöhe über dem Boden einzustellen?

Checkliste für „untenrum“

So machen Sie es Kleintieren leichter ...

... bei der Garten-/Freiflächen-Neuanlage:

Zeigen Sie Möglichkeiten auf, welche Einfriedungen kleinsäuger- oder igelfreundlich sind.

Beraten Sie zu temporären Einfriedungen: Baustahlmatten sind igelfreundlich, Knotengeflechte nicht.

Nutzen Sie die Vorteile von Hanggrundstücken: Hier ergeben sich bei vorausschauender Höhenplanung automatisch ausreichend große Durchschlupfe.

Modellieren Sie Böschungen statt niedriger Stützmauern.

Bauen Sie Mauersockel nicht höher als 15 cm, so können Igel noch passieren, wenn auch keine Amphibien.

Verzichten Sie auf Mauersockel wo immer möglich, investieren Sie in die übrigen Gartenelemente.

Versehen Sie Lichtschächte mit einem feinmaschigen Gitter und/oder einer Ausstiegshilfe.

... bei der Garten-/Freiflächen-Umgestaltung

Prüfen Sie die vorhandenen Einfriedungen: Wie kann durch einfache Anpassungen die Durchgängigkeit für Igel, Frosch & Co. verbessert werden?

Schaffen Sie lokale Durchlässe in Form von Bodenvertiefungen unter dem Zaun oder das sorgfältige Aufbiegen des Geflechts bei Maschendrahtzäunen, um abgeriegelte Situationen zu entschärfen.

Erhalten Sie Böschungen, wo immer möglich.

Halbieren Sie die Auftrittshöhe von Treppen im Randbereich der Stufen.

... in der Kommunikation mit Kunden

Sichern Sie Ihrem Kunden verlässliche fachliche Beratung zu: auch im gemeinsamen Gespräch mit Nachbarn, vor Ort, an der Grundstücksgrenze.

Unterstützen Sie Projekte wie „Hedgehog Highway“ durch fachlich und baulich sinnvolle Detaillösungen im Bestand und beim Neubau.

Stellen Sie bei Bedarf klar, dass Sie kein militanter Naturschützer sind, aber bereit und in der Lage, Tiere im Garten gezielt zu unterstützen.

... bei der Grünflächenpflege

Bewegen Sie Kompost-, Laub- und Asthaufen vorsichtig, ohne hineinzustechen.

Entfernen Sie keine Laub- oder Asthaufen zwischen November und März.

Decken Sie einen versehentlich abgedeckten Igel (im Winterschlaf oder mit Jungen) sofort wieder zu.

 

Theresa Edelmann war bis 2001 Landschaftsgärtnerin in Berlin, 2002 bis 2004 Gartenbau-Meisterschülerin bei der RHS in London/Wisley und nach Studienabschluss 2010 bis 2019 angestellte Landschaftsarchitektin (TU) in Zürich und Starnberg. Seitdem ist sie am Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau der LWG Veitshöchheim in Lehre und Forschung tätig.
theresa.edelmann@lwg.bayern.de
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren