Der Anstand der anderen
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Stellen Sie sich vor, Sie würden an einer Grenze wohnen und auf den Betriebshof Ihres Nachbarn jenseits der Grenze schauen. Seit Jahren kommen Ihnen Geräte abhanden, die Sie jeweils anderntags auf dem Hof des Nachbarn zu sehen glauben und in seiner Halle wähnen. Sagen wir mal, die Polizei könnte Ihnen nicht helfen, weil das Delikt in der Gebietskörperschaft jenseits kein Delikt ist. Was würden Sie machen? Wie lange würden Sie zuschauen, bis Sie selbst zu kriminellen Methoden greifen?
Mit diesen Fragen sah sich wohl auch Norbert Walter-Borjans konfrontiert, in seiner Eigenschaft als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Verwalter eines immensen Schuldenbergs und Käufer illegal erworbener Kundendaten. Vielleicht sehen unsere schweizerischen Leser als stolze Eidgenossenschaft das jetzt ein bisschen anders. Aber letztlich ist es egal, ob man Schweizer, Österreicher oder Deutscher ist: Solange man die Vorzüge seines Landes in vollen Zügen genießt, dessen Gesetze aber missachtet, darf man sich nicht beklagen, wenn das besagte Land irgendwann ein bisschen rauer im Umgang wird. Das geht auch nicht gegen die Schweiz, sondern gegen schweizerische Groß- und Privatbanken, die wie andere Banken andernorts auch, schmutziges Geld aus der ganzen Welt verwalten und so tun, als hätten sie nichts damit zu tun, wo das Geld herkommt und wie es erworben wurde. Und das, obwohl Hehlerei ein überall geahndetes Delikt ist.
Letztlich geht es aber generell darum, wo der Anstand aufhört und wo er anfängt. Aufhören tut er immer beim Geld und anfangen immer bei den anderen. Das sieht man jetzt an Griechenland, wo auf den Postern die Bundeskanzlerin mit Hakenkreuz zu sehen ist, und nicht der Herr Kleptokrateles, der als Mustermann für all jene Herrschaften steht, die das Land seit Jahren beklauen. Das sieht man auch an einem gewissen Mitt Romney, der sich mit seiner Wirtschaftsexpertise sowie finanzieller Unterstützung von Deutscher Bank und Allianz für das Präsidentenamt der USA bewirbt, obwohl es ihm in der Vergangenheit ausschließlich um das Wohlergehen seiner Selbst und seiner Aktionäre ging.
Das sieht man aber auch bei dem Geld, das von hier in andere Länder fließt: Obwohl jeder weiß, dass Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung der Gesellschaft schadet (siehe Griechenland), gilt beides weithin als Kavaliersdelikt und auch ein bisschen als Sport. Aber ist es anständig laut zu schreien, wenn man dabei erwischt wird? Sport heißt Wettbewerb und in dem kann man bekanntlich auch verlieren; auch mit Anstand. Da bin ich der festen Überzeugung, dass Mitteleuropa unter anderem so gut funktioniert, weil die Quote der Anständigen noch deutlich über der der Unanständigen liegt. Und das sollte auch so bleiben.
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