Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Kommentar | Tjards Wendebourg

Die Ära der Alibis

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
(C) by Volker Michael, all rights reserved
Artikel teilen:

Ich kann mich noch gut erinnern, dass es Anfang der 90er-Jahre in jedem Supermarkt „Blumenwiese" in Form vom Samentüten oder -kartons zu kaufen gab. Nach den wilden 80er-Jahren mit Waldsterben, Anti-Akw-Bewegung, Tschernobyl und dem Kampf gegen Waschbeton, Rustikalkitsch und Koniferenwüsten war in Deutschland zum ersten Mal das Umweltbewusstsein so richtig erwacht. Da wollten nicht nur viele Bürger etwas Gutes tun, sondern die Händler auch am (vermeintlichen) Bewusstseinszuwachs partizipieren. Aus dieser Zeit sind viele Entwicklungen hervorgegangen, die noch heute Bedeutung haben; die sichtbarste ist vielleicht die Partei „Die Grünen", die immer auch ein Indikator für eine Stimmungslage war; zumindest in Westdeutschland.

Wenn man heute von der Zahl der Bienensticker, -aufkleber und -aufdrucke auf das Umweltbewusstsein schließen würde, könnte man meinen, es sei mittlerweile erneut ins Unermessliche gewachsen. Alle sind plötzlich Naturfreunde. Doch wir leben nicht nur im Zeitalter der Bienensticker, sondern auch in der Ära der SUVs, der Kies- oder Schottergärten und des fast grenzenlosen Konsums. Jeder möchte etwas Gutes tun, aber sich dabei möglichst wenig in seinen Gewohnheiten einschränken; also morgens mit dem überdimensionierten Auto zur Arbeit und nachmittags Blumenwiese einsäen gegen das Insektensterben. Das ist so eine Art moderne Absolution.

Wir werden nichts daran ändern können, dass Menschen ihr Gewissen mit Alibi-Veranstaltungen zu erleichtern suchen. Das Prinzip dürfte so alt wie die Menschheit sein und ist Ausdruck einer der stärksten menschlichen Neigungen, dem Hang zur Bequemlichkeit. Was wir aber leisten können, ist, der rein kommerziellen Gewissensberuhigung eine fachliche Expertise entgegenzusetzen. Wenn also jemand kommt, der eine „Wiese" möchte, bekommt er sinnvollerweise keine Mischung aus mit Zuchtformen gepimpten Ackerunkräutern, sondern entweder einen hochwertigen Landschaftsrasen mit hohem Kräuteranteil oder eine ausdauernde Staudenpflanzung inklusive guter Beratung. „Bienenfutterpflanzen" blühen nicht gefüllt und sind nicht nur für Honigbienen; Rhododendron und Carex morrowii gehören nicht zur Gruppe der heimischen Pflanzen; Trockenmauern sind keine mit Steinen gefüllte Gabionen und Gärten für Insekten enthalten mehr als das Alibi-Insektenhotel; um nur mit einigen, durchaus auch bei Fachleuten gepflegten Vorurteilen aufzuräumen.

Schon weil wir in Zukunft nicht nur mit Auftraggebern rechnen müssen, die im Garten lediglich etwas Gutes tun wollen, um den SUV im Vorgarten zu kompensieren, sollten wir uns ernsthaft mit der Materie auseinandersetzen. Denn von „Ihrem Experten für Garten und Landschaft" darf man erwarten, dass er mehr kann als dem Kunden nach dem Munde zu reden.

Mehr zum Thema:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren