Ein Auftrag der besonderen Art
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Den Städten möglichst die komplette versiegelte Fläche als lebendiges Grün zurückzugeben, ist eine Aufgabe, der sich ingenhoven architects unter Leitung von Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf seit vielen Jahren stellen. Unter ihrem geschützten Begriff „supergreen" verfolgen sie ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept. Es soll den wachsenden Anspruch der Menschen im Hinblick auf die gesundheitlichen Faktoren ihrer täglichen Umgebung widerspiegeln und beeinflusst Planung und Ausführung hinsichtlich des Energie- und Ressourcenverbrauchs der verwendeten Materialien, Baustoffe und Bauarten.
In Düsseldorf bedeutete dies nicht nur das Versprechen, die Fassaden des neuen Geschäfts- und Bürogebäudes der City zu begrünen, sondern auch dessen Einlösung. Ein Versprechen, das schon beim Kö-Bogen I gegeben, aber nicht gehalten wurde und für viel negative Presse gesorgt hatte. Die Skepsis, was Gebäudebegrünung betrifft, war also groß. Inzwischen sind die Bauarbeiten abgeschlossen und man kann nun tatsächlich die größte Grünfassade Europas in Düsseldorfs City bewundern.
„Der Kö-Bogen II bildet den Abschluss einer umfangreichen städtebaulichen Neugestaltung im Zentrum – einem Ort, der noch bis vor einigen Jahren von einer Hochstraße dominiert war. Für mich steht dieses Gebäude für einen Paradigmenwechsel: aus städtischer Perspektive für die Abkehr vom automobilen Zeitalter und die Hinwendung zum Menschen als Maßstab. Mit Europas größter Grünfassade bietet der Kö-Bogen zugleich eine Antwort der Städte auf den Klimawandel", erklärt Ingenhoven.
8 km Hainbuchenhecken, mehr als 30.000 Pflanzen, stehen an den Schrägfassaden und auf dem Dach des Geschäftshauses. Die Begrünung verhindert, dass sich die Fassade bei starker Sonneneinstrahlung zu stark aufheizt (bis zu 70°C wurden schon an anderen Fassaden gemessen) und diese Wärme an die Umgebungsluft abgibt. Die Hecke funktioniert als Hitzepuffer für das innerstädtische Klima, da sie über die Blätter Feuchtigkeit an die Luft abgibt und im Umfeld ein Kühlungseffekt entsteht. Dazu kommt die Bindung von Feinstaub, die Aufnahme von CO 2 und die Produktion von Sauerstoff über die immense Blattoberfläche. Der ökologische Nutzen entspricht dem von rund 80 ausgewachsenen Laubbäumen.
Wissenschaftlich begleitet
„Nach unseren mehrjährigen Untersuchungen kennen wir das Wachstum der Pflanzen in diesem speziellen Pflanzsystem, ihre Bedürfnisse ebenso wie die ökophysiologische Leistungsfähigkeit. Wir wissen nun, dass allein die Pflanzenhülle der Fassade eine Laubfläche von 30.000 m 2 haben wird, das entspricht einer Größe von mehr als vier Fußballfeldern, mindestens. Damit ist das Gebäude ein großer Energiewandler: Fast die Hälfte der Sonnenenergie wird in Wasserdampf umgewandelt. Die Umgebungsluft wird befeuchtet und nicht beheizt. Gebäude wie diese schließen die typisch urbane Lücke im natürlichen Wasserkreislauf. Für das Stadtklima ist das – neben anderen Effekten – besonders wichtig und wirksam", erläutert Prof. Karl-Heinz Strauch von der Beuth-Hochschule Berlin, der als Phytotechnologe das Projekt über die Jahre begleitet hatte.
Hainbuchen statt Eiben
Der Kö-Bogen II ist zwar nicht ganz unumstritten, unstrittig ist allerdings, dass sowohl die Stadt, die Eigner und nicht zuletzt die Düsseldorfer erwarten, dass die Pflege der Begrünung fehlerfrei klappt. Dafür sorgt Martin Belz, gelernter Landschaftsgärtner, seit 1976 beim GaLaBau-Unternehmen Jakob Leonhards Söhne in Wuppertal und dort Prokurist. Er hat die Begrünung ausgeführt und ist für die Pflege verantwortlich. „Was ich mache, mache ich mit Begeisterung und Herzblut – oder lasse es lieber", beschreibt Belz seine Einstellung. So wurden zum Beispiel die geplanten, immergrünen Hecken aus Gründen der Gewährleistung abgelehnt – auch die Eiben, die in der engeren Wahl waren. „Das Risiko konnten und wollten wir nicht eingehen. Eiben sind in der Wahl des Standorts zwar recht flexibel, optimal ist allerdings ein halbschattiger Standort. Vor allem junge Eiben reagieren nicht selten überempfindlich auf starke, direkte Sonneneinstrahlung, besonders bei Wind. Dazu kommt, dass die meisten Pflanzen im Winter nicht etwa erfrieren, sondern vertrocknen. Davon sind immergrüne Pflanzen mehr betroffen als Laub abwerfende Arten. Diese Gefahr besteht vor allem bei viel Sonne, wenn das Substrat im Container gefroren ist, die Pflanzen aber weiter Wasser abgeben. Dagegen kann man kaum etwas tun."
Die Hainbuche ist sehr viel besser geeignet, denn sie ist ein sehr robustes, widerstandsfähiges und genügsames Gehölz. Ihr Blattwerk wächst zu einer dichten Hecke und ist nicht giftig. Gegenüber vielen anderen Heckenpflanzen ist sie wenig krankheitsanfällig, sehr regenerationsfähig, und damit gut schnittverträglich. Darüber hinaus fällt sie in einen regelrechten Winterschlaf und verbraucht dann kaum Wasser und Nahrung – ein weiterer Vorteil gegenüber der immergrünen Konkurrenz. „Je nach Jahreszeit wird die Hainbuche zudem ein buntes Farbenspiel bieten. Die Blätter wechseln mehrfach die Farbe von Hell- und Dunkelgrün im Frühjahr und Sommer, über Gelb bis Braun im Herbst und Winter", erklärt der Fachmann.
Im Ammerland gewachsen
Das Grün für den Kö-Bogen II wurde in den vergangenen drei Jahren in den Baumschulen Bruns im Ammerland herangezogen. Die Pflanzen wuchsen dort in Containern in einem mineralischen Optigrün-Substrat, immer vier Pflanzen in einem 1 m langen Kübel. Für jeden Kübel war von vornherein die genaue Position an der Fassade und auf dem Dach des Kö-Bogens festgelegt, sodass die Hecke unter denselben Bedingungen und in der Ausrichtung wie jetzt in Düsseldorf wachsen konnte.
Es wurden Pflanzen selektiert, deren Blätter besonders lange haften und erst kurz vor dem Neuaustrieb abfallen. Das heißt, es bleibt auch im Winter weitgehend bei den gewünschten bauphysikalischen Eigenschaften, vor allem der Verschattung und somit der „Dämmung" der Fassaden.
In der Baumschule stehen noch etwa 800 Hainbuchen als Ersatzpflanzen bereit. Martin Belz rechnet aber nicht mit natürlichen Ausfällen. Wahrscheinlicher wären für ihn „Brandversuche" übermütiger Menschen oder Vandalismus – mutwillige Zerstörung eben. Die Reservecontainer werden genauso geschnitten, gewässert und gedüngt wie die in Düsseldorf und können bei Bedarf eins zu eins getauscht werden.
Eine unempfindliche technische Gebäudeausrüstung garantiert die Funktionstüchtigkeit der Gesamtanlage, denn ohne Wasser und Nährstoffe hält auch die robuste Hainbuche nicht lange durch. Entsprechend wurde ausreichend Redundanz eingeplant.
Bewässerung komplex
„Wir haben ein ausgewogenes Pflegekonzept erarbeitet und wissen genau, wie viel Wasser und Nährstoffe die Pflanzen benötigen. Denn wir möchten alle, dass die Hecke ein Hingucker ist", sagt Belz. An Hochsommertagen wurde ein Wasserverbrauch von maximal 2,5 l pro Pflanze gemessen. Seit Anfang des Jahres sind etwa 5.000 m³ Wasser in die Fassaden und auf das Dach geflossen. Die Bewässerung der Pflanzen in den rund 160 Kreisen geschieht über zwei unabhängige Bewässerungsanlagen (Rainbird). Strom- und Wasserversorgung werden aus getrennten städtischen Netzen in die beiden Anlagen eingespeist. Sollte eine Anlage ausfallen, übernimmt die andere die Versorgung sämtlicher Kreise.
Grundlage der gesamten Pflanzenbewässerung ist die Wasserqualität. Hierzu wird Stadtwasser mit Osmosewasser verschnitten. Eine Regenwasserzisterne gibt es nicht, da dort aufgrund der nahezu 100%-igen Begrünung des Gebäudes so gut wie kein Wasser ankommen würde. Um den idealen pH-Wert von 5,5 bis 6,5 zu erhalten, arbeitet im 3. UG eine fernüberwachte Säuredosieranlage. Das Herz der Installation ist eine starke Wilo-Doppelpumpenanlage. Von hier aus wird das Wasser in die Dachtechnikzentralen gepumpt. Hier stehen auch die großen Düngertanks mit abgestimmter Stammlösung, die nach Bedarf dosiert wird. Gedüngt wurde bisher mit Universol blau über eine automatische Dosieranlage. Bisher wurde 1 t des Düngers verbraucht. „Die angegebenen Werte für Wasser- und Düngerverbrauch sind nicht repräsentativ, da wir uns noch nicht im Regelbetrieb befinden", sagt Michael Dautzenberg, ebenfalls Mitarbeiter von Jakob Leonhards Söhne und tätig im Objekt. „In Zukunft werden sie wahrscheinlich niedriger ausfallen. Das können wir allerdings erst Ende nächsten Jahres genau feststellen."
Das Gehirn der Anlage, der Rechner, steuert die mehr als 160 Bewässerungskreise über Ventilboxen, die am Dachrand installiert sind. Um die Anlage auch im Winter betreiben zu können, schalten sich Kompressoren bei Temperaturabfall automatisch ein und blasen das Wasser aus den frostgefährdeten Leitungen. Steigen die Temperaturen, geht die Anlage ab +5°C wieder auf Normalbetrieb. Denn Hainbuchen behalten trotz der Winterruhe bei Sonneneinstrahlung ihre Transpirationsfähigkeit und brauchen diese Wasserzufuhr.
Unter einer kurzen Versorgungsunterbrechung leidet die Hainbuche nicht. Bricht die Leitung einmal völlig zusammen, kommt das Wasser aus Tankwagen und der Strom aus dem Notstromaggregat. Auch auf mögliche Ausfälle der einzelnen technischen Komponenten ist das GaLaBau-Unternehmen vorbereitet. Mithilfe einer Fernüberwachung werden die entscheidenden Parameter ständig kontrolliert. Auf Abweichungen wird sofort reagiert, dafür gibt es rund um die Uhr einen Bereitschaftsdienst.
Spannend wird’s beim Heckenschnitt
Eine Besonderheit stellt die Erreichbarkeit der Hecken dar. Sämtliche Dachflächen sind über Treppen und Wartungswege zugänglich. Die Schrägfassaden werden zu 30 % über sogenannte Catwalks begangen, 65 % sind über eine Fassadenbefahranlage erreichbar, und nur an wenigen Stellen ist der Einsatz eines Hubsteigers erforderlich. Das ist wichtig, denn die Hainbuchenhecken müssen zwei- oder dreimal jährlich auf rund 1,30 m Höhe geschnitten werden. Dabei fallen unterschiedliche Mengen Schnittgut an. Beim ersten Schnitt Ende Mai waren es circa 30 m 3 . Auf dem oberen Dach sind es zwischen 6 und 20 m 3 , die nicht durch das Gebäude abtransportiert werden dürfen.
Deshalb wurde auf dem Dach ein von Leonhards bestellter und speziell angefertigter Häcksler von Jensen installiert. Er zerkleinert das Schnittgut und „bläst" es in eine Schuttrutsche, die in einen Container mündet. Laut Sven Andre Hansen, Geschäftsführer des Herstellers aus Maasbüll (Schleswig-Holstein), ist die Maschine stationär befestigt auf einem Gitter (normalerweise auf einem Betonsockel mit 16er Schrauben). Sie hat einen Elektromotor mit Starkstromanschluss und schafft 19 cm Astdurchmesser sowie rund 10 m 3 Schnittgut pro Stunde. Motor und Auswurf wurden „anders herum" angeordnet.
Wie lange dauert es, um einmal alle Hecken zu schneiden? „Der erste Schnitt war nicht repräsentativ, da die Befahranlage noch nicht freigegeben war", berichtet Belz. „Hier haben wir circa 15 Tage geschnitten. Geplant sind später circa 10 Tage." Welche Kosten für Schnitt und Unterhalt pro Jahr kalkuliert sind, dazu liegen bisher keine Angaben vor.
Ständiges Monitoring
Das Leonhards-Team besteht aus Landschaftsgärtnern, Elektro- und Wassertechnikern sowie einem EDV-Spezialisten, um im täglichen Betrieb der Fassadenbegrünung die qualifizierte Umsetzung der ausgetüftelten Pflege- und Wartungsmaßnahmen zu gewährleisten. Dazu gehören auch stichprobenartige Analysen des Substrats, Schädlingskontrolle und Präventivmaßnahmen zum Pflanzenschutz. Im Rahmen des Monitorings werden alle Messwerte und Beobachtungen dokumentiert und ausgewertet, wofür eigens ein Programm entwickelt wurde. Die gesammelten Daten sichern den Betrieb der grünen Fassade – werden aber auch für ähnliche Projekte von Nutzen sein.
Moos kann Alternative sein
Fassadenbegrünungen mit Schling- oder Kletterpflanzen sind zwar die Klassiker, es gibt inzwischen aber äußerst kreative Lösungen, die ohne drastische Einschnitte in den Lebensraum der Pflanzen auskommen. Moos zum Beispiel ermöglicht ein System für grüne Fassaden, das nahezu wartungsfrei und sogar selbst begrünend ist. Es braucht keine kostenintensive Pflege, keinen Dünger, keinen Pflanzenschutz, keinen Rückschnitt – und kann sogar nachträglich angebracht werden. Und obwohl Moose so klein sind, kann ihr Nutzen mit dem der großen Pflanzen durchaus mithalten.
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