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Kommentar

Desintegration von Amts wegen

Sven Schreiber staunte nicht schlecht, als sein Facebook-Post über das Landratsamt Freising in kürzester Zeit mehr als 100 000 Reaktionen erhielt. Der Unternehmer hatte seinem Ärger darüber Luft gemacht, dass die Behörde seinem Mitarbeiter, der seit 2016 eine Einstiegsqualifikation bei ihm absolviert, die Arbeitserlaubnis entzog, weil die Bleibeperspektive zu gering und die Deutschkenntnisse nicht ausreichend seien. Dabei war Schreiber von Christopher K. begeistert; er sei freundlich, pünktlich, zuverlässig und ausgesprochen fleißig. Willkommenslotsin Theresia Hirschbeck stellte den Nigerianer auf den Landespflegetagen noch als leuchtendes Beispiel vor. Dieses Jahr hätte er seine Ausbildung beginnen sollen. Wenn es schlecht läuft, sitzt er ab August wieder im Heim und dreht Däumchen.

Eigentlich hatte sich die Regierungskoalition (ja, auch die CSU!) letztes Jahr im Asylpaket II auf die „3+2-Regelung" geeinigt: Migranten, die in Deutschland eine Lehre aufnehmen, sollen die Sicherheit bekommen, die Ausbildung beenden und danach zwei Jahre arbeiten zu können, und das ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus. Eigentlich wäre das eine Situation, die nur Gewinner kennt: Der Unternehmer könnte planen, der Flüchtling hätte die Chance, sich zu bewähren, und die Gesellschaft die Gewissheit, dass die bleiben, die schon viel für ihre Integration geleistet haben. Doch wie so oft geht es in der Politik und in der Verwaltung nicht um praktikable Lösungen.

So ist es nach wie vor erschreckend, wie schwer es den Ämtern fällt, Einzelfallentscheidungen zu treffen, die allen Beteiligten gerecht werden. Wenn der afghanische Bauarbeiter oder die albanische Krankenschwester aus jahrelangen Arbeitsbeziehungen heraus abgeschoben werden, fragt man sich, was im Kopf der Sachbearbeiter vorgeht. Wo ist das Augenmaß, wo sind Eigenverantwortung und Rückgrat? Aber wenn schon der Ministerpräsident als oberster Gralshüter der Stammtischstimmung auftritt, fällt es wohl den Untergebenen noch schwerer, sich durch Individualentscheidungen angreifbar zu machen.

Ob das allerdings am Stammtisch gut ankommt, wenn es nicht gelingt, die abzuschieben, die eine Abschiebung verdient hätten, und man stattdessen Exempel an braven und integrationswilligen Zuwanderern statuiert, darf bezweifelt werden. Und ob man dem Land einen Dienst erweist, wenn man uns die erhält, die abtauchen, und die abschiebt, die ob geregeltem Arbeitsleben leichter verfügbar sind, darf noch gründlicher bezweifelt werden.

Aber einen Vorteil hat die Rückgratlosigkeit. Man muss nur laut genug schreien, dann knickt die Behörde ein. Deswegen kann man jedem Unternehmer in ähnlicher Lage nur die Firma Strasser aus Winhöring als Vorbild empfehlen. Da hatte die gesamte Belegschaft so lange öffentlichkeitswirksam Rabatz gemacht, bis ihr afghanischer Kollege Tavus Qurban bleiben durfte.

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Volker Michael
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